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Vererbte Präsidentschaft

2. Oktober 2009

In den arabischen Republiken Ägypten, Libyen und Jemen deutet sich an, dass die Präsidenten ihre Söhne als Nachfolger aufbauen. In der Republik Syrien ist Bashar Al-Assad seinem Vater bereits als Staatschef gefolgt.

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Syriens Präsident Bashar Al-Assad (Foto: AP)
Er ist kein Monarch, aber er hat sein Amt vom Vater geerbt: Syriens Präsident Bashar Al-AssadBild: AP

Der Sohn folgt auf den Vater. Das ist das Prinzip einer Monarchie – sollte man meinen. Wären da nicht der König von Saudi-Arabien oder der Emir von Kuwait, die 2005 und 2006 nicht ihrem Vater, sondern einem Halbbruder oder Vetter auf den Thron gefolgt sind. Denn in den meisten Monarchien auf der arabischen Halbinsel herrscht nicht etwa ein Monarch, sondern vielmehr dessen Familie, weswegen sich für diese Staaten der Begriff der "dynastischen Monarchie" eingebürgert hat. Die Frage der Thronfolge ist Familiensache, genauer: die Sache der wichtigsten männlichen Familienmitglieder. Schwestern, Töchter oder Cousinen zählen nicht wirklich zur herrschenden Dynastie. Immerhin: Der Thron des Monarchen bleibt in der Familie - ganz so, wie es sich für eine "richtige" Monarchie gehört.

Republikanische Monarchien

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak (Foto: AP)
Er bereitet seinen Sohn auf das höchste Staatsamt vor: Ägyptens Präsident Hosni MubarakBild: picture-alliance/dpa

Was sich aber gar nicht gehört, zumindest aus westlicher Sicht, ist die Vererbung der Präsidentschaft in arabischen Republiken wie Syrien, Ägypten, dem Jemen oder Libyen. Man spricht inzwischen von "Erbrepubliken", "republikanischen Monarchien" oder auch "dynastischen Republiken". In der arabischen Welt hat sich für diese republikanische Vater-Sohn-Nachfolge der Neologismus gumlaka, zusammengesetzt aus gumhurija, Republik, und mamlaka, Monarchie, eingebürgert.

In all diesen Staaten zeichnet sich heute ab, dass ein Sohn seinem Vater als Präsident nachfolgt. Paradoxerweise haben die betroffenen arabischen Länder noch vor zwei Generationen, in den Zeiten des arabischen Kalten Krieges, zum "progressiv-revolutionären" Lager gehört. Damals standen sich prowestliche "reaktionäre" Monarchien und prosowjetischen Republiken gegenüber. Letztere waren in Wirklichkeit populistische Militärdiktaturen, die jede Opposition blutig unterdrückten.

In der Republik Syrien ist das "Prinzip Sohn" schon heute Realität. Hier folgte Baschar Al-Assad 2000 seinem Vater nach, dem Präsidenten Hafiz Al-Assad. Obwohl sich Baschar moderner und weltoffener gibt, ist Syrien auch heute noch eine repressive Diktatur, die einen radikalen panarabischen, antiisraelischen und antiamerikanischen Kurs verfolgt. Zumindest die Rhetorik vom Präsidenten abwärts erweckt diesen Eindruck.

Machtfaktor Militär

Was Libyen und den Jemen betrifft, entbehrt die angestrebte dynastische Erbfolge nicht einer gewissen Pikanterie. Libyens unberechenbarer Revolutionsführer Muammar Al-Gaddafi führte 1969 persönlich den Putsch gegen den letzten König von Libyen an, und Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh hat als junger Mann im Bürgerkrieg nach 1962 auf Seiten der Republikaner gegen die Royalisten gekämpft.

Libyens Präsident Muammar Gaddafi (Foto: AP)
Einer seiner Söhne könnte ihn als Staatschef ablösen: Muammar Gaddafi ist der dienstälteste Herrscher der arabischen WeltBild: AP

Den Präsidenten-Vätern gemeinsam ist ihre Herkunft aus dem Militär, das in diesen Staaten den wichtigsten Machtfaktor darstellt. Im Jemen, in Syrien und in Libyen sind Militär und Sicherheitsapparat auf die Herrscher eingeschworen. Allein in Ägypten ist die Lage anders. Hier war das Militär selbst zu Zeiten des Revolutionsführers, Diktators und Bannerträgers des arabischen Nationalismus Gamal Abdal Nasser in den 1950er und 1960er Jahren immer ein eigenständiger Faktor, weswegen die folgenden Präsidenten Anwar Al-Sadat und Hosni Mubarak ebenfalls aus der Armee kamen und auch nicht miteinander verwandt sind. Für den von seinem Vater geförderten Gamal Mubarak kann sich das als Nachteil erweisen, zumal Ägypten über eine zwar reglementierte, aber gewachsene Zivilgesellschaft verfügt, die einer dynastischen Erbfolge kritisch gegenübersteht.

Keine demokratischen Vorbilder

Dennoch scheint sich das "Prinzips Sohn" in vielen arabischen Republiken durchzusetzen - aus mehreren Gründen. Zum einem fehlen demokratische Vorbilder. Sowohl der immer wieder von konfessionellen Unruhen erschütterte Libanon als auch der Irak, in dem die Regierung Bush einen "Leuchtturm der Demokratie" errichten wollte, wirken eher abschreckend. Bezeichnenderweise sind es heute arabische Monarchien wie Marokko, Kuwait, Katar, Bahrain oder auch Jordanien, in denen die weitestgehenden Reformen Richtung Demokratie stattfinden - ohne die Macht des Herrschers wirklich in Frage zu stellen.

Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh (Foto: AP)
Er betont, dass auch seinem Sohn eine Kandidatur offenstehe: Jemens Präsident Ali Abdullah SalehBild: AP

Das einfache Volk hat wenig zu sagen. Die arabischen Regime sind gut funktionierende Polizeistaaten, in denen die Unterdrückung oft durch Bestechung und Belohnung ergänzt wird, was schon viele radikale Regimegegner zu loyalen Reformpolitiker werden ließ. Gerade in den ölreichen Staaten funktioniert das Modell "Geld gegen Macht". Auch die Diskreditierung der Reformer als "Lakaien des Westens", "Agenten Israels", "Feinde der Araber und des Islams" oder – oft im gleichen Atemzug – als "islamistische Terroristen" hilft dabei, die Demokratie und ihre Verfechter als unislamisch und unarabisch zu denunzieren.

Was spricht aus der Perspektive des Regimes für eine dynastische Erbfolge? Aus Sicht des Vater-Präsidenten spielt sicherlich der Wunsch eine Rolle, dass Macht und Reichtum in der Familie bleiben. Aber auch die Umgebung des Herrschers kann dem "Prinzip Sohn" viel abgewinnen – selbst bei eigenen Ambitionen auf eine Präsidentennachfolge. In den regimenahen Kreisen geht es um die Erhaltung von Einfluss und Vermögen, die oft das Ergebnis von Korruption und Machtmissbrauch sind. Ein echter Machtwechsel brächte beides in Gefahr. Von Bedeutung für die Regimeträger ist weiterhin, dass die herrrschenden Macht- und Einflusskonstellationen zumindest anfangs stabil bleiben, da ein Sohn nicht über ein eigenes starkes Netzwerk verfügt und damit auf viele Stützen seines Vaters zurückgreifen muss.

Dynastische Erbfolge

Derartige Stabilitätserwägungen sind auch für das Ausland ein wichtiger Grund, die Nachfolge der Präsidentensöhne zu unterstützen oder – wie im Falle des Westens – zu tolerieren. Gerade wenn der Präsidentensohn "Berechenbarkeit" verspricht, die bewährten Handelswege und diplomatischen Kanäle offen bleiben und das Öl wie bisher fließt. Sorgsam choreographierte Wahlen und Referenden begleiten den familiären Machtübergang und lassen die neuen Herrscher - auch in den westlichen Medien - als moderner, weltoffener und reformfreudiger als ihre Väter erscheinen. Bei den arabischen Monarchien kommt hinzu, dass die dynastische Erbfolge deren konstitutives Prinzip ist. Gerade das führen die vormals feindlich gesinnten Nachbarrepubliken nun auch ein. Dynastische Erbfolge wird so in den Augen vieler Araber legitimiert, zumindest verliert die Alternative "Republik" ihre Anziehungskraft.

Schließlich ist auch der vorherrschende Islam einer dynastischen Erbfolge nicht abträglich. Zum einen beruht für viele Muslime die Legitimität politischer Herrschaft mehr auf der Einhaltung oder Nichtverletzung religiöser Gebote und Regeln als auf der Zustimmung des Volkes. Zum anderen neigen viele liberal gesinnte Kreise dazu, angesichts der Stärke islamistischer Bewegungen in der Region die herrschenden Regime als das kleinere Übel im Vergleich zu einer andernfalls drohenden islamischen Republik zu akzeptieren.

Schwache Opposition

Das "Prinzip Sohn" strahlt heute auch in die islamischen Staaten des Kaukasus und nach Zentralasien aus. Im erdölreichen Aserbaidschan wurde bereits – drei Jahre nach der Erbfolge in Syrien – die Präsidentschaft vom Vater Haidar Aliew auf den Sohn Ilham Aliew vererbt. Vater Aliew, der seine sowjetische Politikkarriere in den 1980er Jahren bereits als kommunistischer Parteichef seiner Heimat krönen konnte, war nach Chaos und Bürgerkrieg 1993 - nun als patriotischer Präsident und Retter in der Not - an die Macht zurückgekehrt. Demokratische Spielregeln waren dabei hinderlich.

Heute sind Wahlen in Aserbaidschan weder frei noch demokratisch. Die Opposition ist schwach, gegängelt und vielfach vom Regime "gekauft". In den anderen muslimischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion steht es um die Demokratie nicht besser, um die Opposition dafür oft weit schlechter. In dortigen Herrscherkreisen gilt denn auch das Aserbaidschan der Aliews als Erfolgsmodell, so dass längst auch in Ländern wie Kasachstan oder Tadschikistan die Stimmen lauter werden, die die Einführung einer dynastischen Erbfolge befürworten. Das "Prinzip Sohn" ist für die dortige schwache Opposition und die im Zweifelsfall noch schwächeren Demokraten ein Alptraum.

Autoren: Johannes Krug / Anne Allmeling
Redaktion: Stephanie Gebert