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Verfassung für 450 Millionen Europäer

13. Juni 2003

Der Entwurf für die erste Verfassung Europas steht. Nach eineinhalbjährigen Verhandlungen präsentierte der EU-Konvent seinen Vorschlag für die Verfassung der Europäischen Union. Wichtige Details sind aber noch offen.

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Erzielte Einigung nach zähem Ringen: Konventspräsident Giscard d´EstaingBild: AP

Die Vertreter von 28 europäischen Ländern einigten sich am Freitag (13.6.2003) in Brüssel nach zum Teil sehr kontroversen Beratungen auf den Entwurf. Damit wird die Arbeit der erweiterten Union auf eine neue Grundlage gestellt.

Realismus vor allem hat dafür gesorgt, dass die 105 Konventsmitglieder, trotz zum Teil erheblicher Bedenken und Enttäuschungen, das Ergebnis schließlich als das bestmögliche akzeptierten, was derzeit zu erreichen war. Vor allem jene, die eine Stärkung der EU und damit die Verlagerung wesentlicher Befugnisse von den Nationalstaaten nach Brüssel wollten, mussten bittere Pillen schlucken.

Keine außenpolitischen Mehrheitsentscheidungen

So konnten sie sich nicht mit der Forderung durchsetzen, dass Entscheidungen in der EU-Außenpolitik künftig mehrheitlich getroffen werden können und nicht mehr der Zwang zur Einstimmigkeit besteht. Damit könnte etwa der künftige Zwerg-Mitgliedstaat Malta Beschlüsse aller anderen mit seinem Veto blockieren. Die Aufgaben des künftigen EU-Außenministers würden daher erheblich erschwert, hatte der deutsche Außenminister Joschka Fischer noch vor zwei Tagen gewarnt. "Dann sind wir immer wieder blockiert, das haben wir doch x-mal erlebt."

Ein wesentlicher Teil der Verfassung, der die Zuständigkeiten in den einzelnen Politikfeldern und die Mehrheitsabstimmungen regelt, muss allerdings noch in zwei Sondersitzungen des Konvents bis Mitte Juli abschließend bearbeitet werden. Dennoch, und trotz des fehlenden Mehrheitsprinzips in der Außenpolitik, sprach Fischer und die meisten Konventsmitglieder am Freitag von einem "historischen Tag für Europa". Noch nie in der Geschichte Europas hätten 28 Länder gleichberechtigt zusammen gearbeitet, "um die Vereinigung des Kontinents nach fünf Jahrzehnten der Spaltung" anzugehen.

"Sehr vernünftiger Vorschlag"

Bundeskanzler Gerhard Schröder würdigte den Entwurf in einem Interview als einen "sehr vernünftigen Vorschlag". Nach einem Treffen mit dem griechischen Ministerpräsidenten und EU-Ratsvorsitzenden Kostas Simitis in Berlin meinte Schröder am Freitag, er hoffe auf Nachbesserungen bei den außenpolitischen Vereinbarungen. Er hätte sich in diesem Bereich Mehrheitsentscheidungen gewünscht, sagte der Kanzler.

Die Regeln der Verfassung sollen die auf 25 Länder erweiterte Union funktionsfähig erhalten. Die Gemeinschaft erhält an der Spitze eine neue Machtstruktur. Neben dem Kommissionspräsidenten wird es künftig einen hauptamtlichen Präsidenten des Rats der Staats- und Regierungschefs geben. Ein Außenminister wird die EU in der Welt vertreten. Das Prinzip der Einstimmigkeit in diesem Bereich wurde wegen eines britischen Vetos jedoch nicht aufgegeben. EU-Parlament und Kommissionschef werden gestärkt. Die Zuständigkeiten der EU und der einzelnen Länder werden erstmals klarer gegeneinander abgegrenzt.

Vorlage in Thessaloniki

Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing wird den Verfassungsentwurf in der kommenden Woche den Staats- und Regierungschefs der EU in Thessaloniki präsentieren. Eine Regierungskonferenz soll dann bis Ende des Jahres auf dieser Grundlage über den endgültigen Text entscheiden.

Fischer, der bis zum Schluss hinter den Kulissen für eine Verständigung zwischen den verschiedenen Positionen warb, sieht nun die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Union gestärkt. "Für den Bürger wird Europa transparenter: In Zukunft wird man wissen, was in Brüssel entschieden wird und was zu Hause entschieden wird."

"Idealismus und Innovation"

Giscard würdigte die fast einmütige Zustimmung des Konvents zu dem Entwurf: "Wir haben Idealismus und Innovation kombiniert." Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel, der im Konvent den Bundesrat vertritt, sagte: "In der Summe haben wir zusammen einen guten Verfassungsentwurf erarbeitet." Der Europa-Abgeordnete Klaus Hänsch, der dem Präsidium des Konvents angehört, schloss weitere Änderungen an dem Textentwurf aus: "Es gibt keine Nachbesserungen."

Mit ihrer Einmütigkeit wollten die Konventsmitglieder auch erreichen, dass die Regierungen ihre Vorschläge nicht mehr verwässern. Fischer warnte davor, in der nun anstehenden Regierungskonferenz den Entwurf wieder aufzuschnüren. "Dies könnte die geleistete Arbeit wieder zunichte machen." (mik)