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Verfemt, verboten, gesammelt

Oliver Samson4. Dezember 2002

Kunst ist gefährlich: Dies scheinen zumindest viele Diktatoren zu meinen. Sie verbieten die Werke und verfemen die Künstler. In Israel entsteht jetzt ein Museum für verbotene Kunst.

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Ausstellungsführer "Entartete Kunst" von 1937Bild: dhm

Adolf Hitler verstand sich als Maler und großer Kunstfreund - und ließ Kunst in großem Ausmaß verbieten. Die berüchtigte Ausstellung "Entartete Kunst" sollte die Volksgenossen vor den Werken der klassischen Moderne warnen: Diese galt Kunstfreund Hitler als Ausgeburt einer kranken, jüdisch-kommunistisch infiltrierten oder dekadent-bürgerlichen Welt - mithin nichts für ein nationalsozialistisch erwecktes Deutschland.

In totalitären Regimen bleibt auch für die Freiheit der Künstler kein Platz. Unter Stalin und Franco wurde ebenso verfolgt und verfemt und auch in der post-stalinistischen Zeit blieb für Kunst außerhalb des sozialistischen Realismus kaum Platz.

Glücksfall der Geschichte

Nun ist es einer der Glücksfälle der Geschichte, dass die ehedem verfolgte Kunst zumeist voll rehabilitiert die Museen der Welt schmückt. In Israel wird nun sogar das erste Museum entstehen, dass sich ausschließlich ehemals verbotener Kunst widmet. Im Frühjahr nächsten Jahres soll es eröffnet werden.

Marc Chagall Aquarell
Rabbi von Marc ChagallBild: AP

Die Initiative zu diesem Museum lieferten die beiden Kölner Kunstsammler Kenda und Jacob Bar-Gera. Seit Jahrzehnten sammeln sie ehemals verbotene Kunst - und besonders die Werke der zweiten russischen Avantgarde. Darunter versteht man Künstler, die sich nicht der offiziösen Kunstrichtung. in der post-stalinistischen Sowjetunion anschließen wollten. Die Bilder und Objekte wurden heimlich in den Koffern von Diplomaten, reisenden Geschäftsleuten und Studenten ins Rheinland geschmuggelt - bis beim jüdischen Ehepaar die weltweit größte Sammlung russischer Non-Konformisten entstanden war. "Meine Arbeit war es hauptsächlich, mich den Vergessenen, politisch verfolgten Künstlern zu widmen", sagt Kenda Bar-Gera. "Möglicherweise war hier der tatsächliche Hintergrund, dass ich selbst ein Kind der Verfolgung war."

Serge Poliakoff
Serge PoliakoffBild: TEFAF

Nach dem Ende des Kalten Krieges gewann die Sammlung der Bar-Geras natürlich auch im Ursprungsland ihrer Werke wieder Interesse. Nach einer Ausstellungstournee unter anderem durch St. Petersburg und Moskau stellte sich für die Besitzer immer dringlicher die Frage nach einem dauerhaften Platz für die Werke.

Ein Platz für Kunst und Forschung

Nach intensiven Gesprächen entschied man sich für das Angebot der israelischen Stadt Raanana. Diese war 1948 noch ein Dorf mit 3000 Einwohnern, heute wohnen in der aufstrebenden Stadt unweit von Tel Aviv 70.000 Menschen. Hier soll in einem schon bestehenden Skulpturenpark ein internationales Museum für verfolgte Kunst entstehen – und ein angegliedertes Forschungsinstitut, in dem etwa geklärt werden kann, warum Diktatoren denn nun Angst vor der Freiheit der Kunst haben. Oder auch die Frage untersucht werden kann, warum avantgardistische Strömungen in Spanien und Deutschland als "rot", in der UdSSR aber als kapitalistisch angefeindet wurden. Hier soll die Sammlung Bar-Gera als Grundstock dienen.

Die etwa 25 Millionen Euro Kosten für das Museum konnte jedoch die Gemeinde Raanana nur zu einem Drittel übernehmen. Ein Förderverein "Internationales Museum für verfolgte Kunst - Israel e.V." wurde zur Geldbeschaffung ins Leben gerufen – und dessen Vorstand und Kuratorium könnte kaum prominenter besetzt sein. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ist dort ebenso zu finden wie der Schauspieler Armin Müller-Stahl, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, ebenso wie der Soziologe Jan Philipp Reemtsma.

Albtraum der Diktatoren

Doch diese sind längst nicht die einzigen Förderer: Auch in den USA und Israel wird fleißig gesammelt und Ende November 2002 wurden zugunsten des Museums gestiftete Werke renommierter deutscher und russischer Künstler wie Horst Antes, Jürgen Klauke oder Vladimir Nemuchin versteigert. Immerhin 60.000 Euro kamen zusammen. Im Vergleich zu den 25 Millionen ein kleiner Betrag, doch das Geld mehrt sich. Dass es zusammen kommt, bezweifelt kaum jemand. Ein Museum, dass gleichzeitig ein Albtraum von Franco, Stalin und Hitler sein könnte – dafür spenden viele gerne.