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Verfolgungswahn in Big Apple

Ralf Hoogestraat 12. August 2004

Seit einer Woche herrscht in den USA der Ausnahmezustand. Jeden Tag kommen neue Berichte über mögliche Terror-Anschläge. Das ist der ganz normale Wahnsinn und der Alltag nimmt immer absurdere Formen an.

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Ralf Hoogestraat - Washington

Jeden Morgen in der vergangenen Woche wachten die Washingtoner auf und fanden neue Straßen gesperrt. Vor allem das Capitol wird langsam zu einer Festung ausgebaut. Beton-Barrieren schließen den Hort amerikanischer Freiheit und Demokratie ein, nur die Abgeordneten und Senatoren würden noch relativ unbehelligt durchkommen, aber die meisten sind im Sommerurlaub. Also verteidigen schwerbewaffnete Polizisten den "Hügel", wie die einheimischen ihr Capitol gerne nennen, gegen die anstürmenden Horden feindlicher Touristen.

Im alltäglich chaotischen New York fallen solche Straßensperren und Kontrollen vielleicht nicht auf, im kleinen Washington sind sie ein Albtraum. Die Stadtväter sind empört, dass die große Bundespolitik sie wieder einmal nicht gefragt hat. Aber jetzt heißt es, dass auch Abgeordnete auf dem Zielradar der Terroristen aufgetaucht sind.

Und in New York sollen Taxi-Limousinen oder die beliebten Hubschrauber-Rundflüge für Touristen nach neusten Geheimdiensterkenntnissen als Bomben-Liefersysteme für Terroristen dienen. Mag ja schon sein, dass das alles stimmt und vielleicht will das Reich des Bösen ja tatsächlich Amerikas strahlende Stadt auf dem Hügel bald wieder angreifen, die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß. Aber eigentlich haben die Terroristen ja schon gewonnen, auch wenn es ihnen nicht gelingt, den demokratischen Wahlprozess in den USA zu stören.

Jeder ist ein möglicher Terrorist

Amerikas Angst und Verfolgungswahn werden immer schlimmer, hinter jedem Pass wird ein Terrorist vermutet. Die Grenzbeamten an den Flughäfen sind unfreundlicher denn je. Wer als Tourist kommt, sollte unbedingt eine Adresse in den USA angeben können, wo er die ersten Nächte verbringt. Wenn er das nicht hat und sich einfach ein Hotel suchen will, könnte ihm die sofortige Abschiebung dienen.

Mangelnde Englisch-Kenntnisse könnten ein Problem werden: Ein Tourist hatte bei einem Inlandsflug in den USA in einer Tageszeitung einen neuen Begriff entdeckt, den er nicht kannte. Da sein Wörterbuch im Koffer war, schrieb sich der wissbegierige Reisende den Begriff auf, um ihn bei nächster Gelegenheit nachzuschlagen. Der Begriff war "Suizide Bomber"!

Ein unglücklicher Begriff. Der Sitznachbar sah das, alarmierte die Flugzeugbesatzung, der Pilot landete so schnell wie möglich, das Flugzeug wurde evakuiert, der ältere Tourist wurde verhaftet und verhört. Erst mit Hilfe von Wörterbuch und Übersetzer ließ sich das Missverständnis klären.

Studenten abgeschreckt

Viele ausländische Studenten zeigen den berühmten amerikanischen Universitäten wie Harvard oder Princeton inzwischen die kalte Schulter und studieren in Kanada oder England. Nicht nur sind die Studien dort billiger, man bekommt auch einfacher ein Visum und gilt nicht automatisch als möglicher Terrorist. Die amerikanischen Universitäten, die sich auch als Wirtschaftsunternehmen sehen, fürchten inzwischen Milliarden-Verluste.

Und bei den etwas internationaler denkenden Amerikanern macht sich inzwischen der Kleinmut breit. Ein Freund von mir hatte als Kameramann für den konservativen Fox-Nachrichtenkanal im Golfkrieg gut verdient. Wieder zu Hause in New York kaufte er sich von seinem Kriegsgewinn ein Motorboot, um im Hafen von New York spazieren fahren zu können. Und da mein Freund ein dankbarer Mann ist und nicht vergessen hatte, wie er zu dem Boot gekommen war, nannte er es: Fallujah, nach der irakischen Stadt, in der es auch heute noch immer wieder zu Kämpfen zwischen Iraker und Amerikanern kommt.

Zugeben, mein Freund hat einen sehr schrägen Sinn für Humor. Aber nachdem er keinen Meter im New Yorker Hafen fahren konnte, ohne von Polizei und Küstenwache gestoppt zu werden, hat ihn sein Humor verlassen. Er benennt sein Boot jetzt um.