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Verherrlicht und verteufelt

Günther Birkenstock9. April 2012

Mit einer kleinen Gussstahlfabrik legte Friedrich Krupp 1811 den Grundstein für eine legendäre Firmengeschichte. Das Essener Ruhrmuseum zeichnet nun ein komplexes Bild der berühmten Industriellendynastie.

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"200 Jahre Krupp. Ein Mythos wird besichtigt" Eine Sonderausstellung des Ruhr Museums auf dem Welterbe Zollverein Quelle: http://bilddatenbank.ruhrmuseum.de/?c=250&k=e318d4170e +++ Achtung: Nur im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Sonderausstellung zu verwenden! +++ Alfried von Bohlen und Halbach mit seinen Eltern und seiner Familie in Blühnbach
Bild: Historisches Archiv Krupp

Wer weiß schon, dass die Familie eigentlich aus den Niederlanden stammt. Arndt Kruipe ist der erste in der Essener Chronik. Der Kaufmann handelte nicht nur mit Eisenwaren, sondern auch mit Wein, Lebensmitteln und Vieh. Die Legende Krupp aber entstand viel später mit Friedrich Krupp, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Essen eine Gussstahlfabrik gründete. Lange Zeit allerdings ohne großen Erfolg. Der Firmengründer starb hochverschuldet 1826. Der Durchbruch kam unter Alfred Krupp mit einer genialen Erfindung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, dem nahtlosen Radreifen aus Gussstahl, Wahrzeichen der Firma Krupp, das in den drei Ringen des Firmenlogos bis heute verewigt ist. Die stählernen Räder fanden reißenden Absatz. Nicht nur in Deutschland und Europa, auch in den USA fuhren Eisenbahnwagen mit Rädern von Krupp.

Klischee und Wirklichkeit

Um die Geschichte der Krupps zu erforschen und für ein großes Publikum verständlich zu machen, hat der Direktor des Essener Ruhrmuseums, Theodor Grütter, mit seinen Mitarbeitern fast 7000 Exponate untersucht: Fotografien, Filme, Akten und Einrichtungsgegenstände. Rund 1500 davon werden nun in Essen ausgestellt.

Werbeblatt für die Krupp Gussstahlfabrik (Foto: Ruhr Museum Essen)
Ein frühes Werbeblatt für die "Krupp Gussstahlfabrik"Bild: Ruhr Museum

"Der Mythos Krupp beginnt schon beim Firmengründer Friedrich", stellt Theodor Grütter fest. Aus Schulzeiten kennt er noch die Geschichte vom einfachen Schrotthändler Krupp, der sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat. Keine Rede davon, dass der Schrotthändler in Wirklichkeit Nachkomme einer wohlhabenden Patrizierfamilie war.

Räder und Waffen

Dennoch war es richtig, dass Hartnäckigkeit und Erfindungsreichtum Krupp letztlich den wirtschaftlichen Erfolg brachten. Nicht erst im Zweiten Weltkrieg profitierte die Stahlfirma von der Waffenproduktion. Im deutsch-französischen Krieg von 1871 trugen Kruppsche Stahlkanonen wesentlich zur Überlegenheit des deutschen Militärs bei. Alfred Krupp (1812-1887) erhielt den zweifelhaften Beinamen des "Kanonenkönigs". Die Karriere des Metalls aus deutscher Herstellung bekam eine ideologische Komponente. Stahl war nicht mehr nur purer Werkstoff, sondern auch das Material, das Welt erschafft und zerstört. Die Produktion wurde zu einem alchimistischen Prozess verklärt. Räder und Waffen brachten Krupp eine enorme Expansion. Der Erfolg war unverkennbar. Mit vier Mitarbeitern hatte das Unternehmen bei seiner Gründung begonnen. 1887 waren es bereits 20.000.

Alfred Krupp verließ sich nicht allein auf die Produktion von Stahl von herausragender Güte. Er war ein Medienstratege. Mit ihm begannen die Krupps erfolgreiches Marketing zu treiben, lange bevor der Begriff für diese Art der Eigenwerbung existierte. Der Firmenchef nutze die Weltausstellungen, um ein großes Publikum zu erreichen. Außerdem investierte Krupp in die Entwicklung der Fotografie. Später setzten die eigenen Labors die technischen Errungenschaften der Firma in Szene. 1906 richtete Krupp das weltweit erste Firmenarchiv ein. Jubiläen wurden zur großen Selbstdarstellung. Die Festlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Firma ließ Krupp sich nach heutigem Wert 60 Millionen Euro kosten.

Soziale Kapitalisten

Gießer, die im 19. Jahrhundert Tiegel von den Schmelzöfen zu den Formen tragen (Foto: Ruhr Museum Essen)
Gießer, die Tiegel von den Schmelzöfen zu den Formen tragenBild: Historisches Archiv Krupp/Ed Liesegang

Nach innen demonstrierte die Unternehmensführung soziale Verantwortung. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff der "Kruppianer" geschaffen. Der angestammte Teil der Belegschaft wurde gezielt gefördert und umsorgt. Die Krupps errichteten Krankenhäuser, Schulen und Büchereien. Zum einen war das wohltätige Fürsorge, zum anderen aber auch unternehmerische Weitsicht. Denn nur die besten Arbeitskräfte erhielten die begehrten Zuwendungen. "Diese Stammbelegschaft machte nie mehr als zehn Prozent der Beschäftigten aus", betont Museumsdirektor Grütter. Sie wurden auch in Krisenzeiten weiter beschäftigt. Dadurch sicherte man sich nicht nur hohe Produktivität und Know-How; das Vorbild der Belohnten war ständiger Leistungsanreiz für den Rest der Arbeiterschaft. Für Theodor Grütter ist das soziale Engagement der Krupps ein weiteres Element der Familiengeschichte, das zeigt: "Die Klischees haben einen wahren Kern, aber der Rest ist hinzuerfunden."

Den Krupps pure Berechnung zu unterstellen, greife daneben. Margarethe Krupp (1854-1931) habe sich die Mühe gemacht, jeden Tag zwei Stunden lang Bittsteller empfangen, um Bedürftigen mit Wäsche, Geschirr und anderen Alltagsgegenständen zu helfen. Zweckrationales und menschliches Handeln stehe nebeneinander. Das zeige sich auch in der Etablierung eines weitläufigen Mäzenatentums.

Weder Kriegstreiber noch Unschuldslämmer

Im ersten Weltkrieg konzentriert sich der Krupp-Konzern auf die Produktion von Rüstungsgütern. Eine Firmenpolitik, die das Unternehmen nach dem Ende des verlorenen Krieges fast in den Ruin führt. In der Zeit der Nationalsozialisten habe sich Krupp deshalb viel zurückhaltender gezeigt als die meisten glaubten, erklärt Theodor Grütter. Zwar habe Krupp mit den Nazis kooperiert, aber weiterhin zur Hälfte auf zivile Produktion gesetzt. Die Anklage und Verurteilung nach dem Zweiten Weltkrieg sei vor dem Hintergrund von Zwangsarbeitern und Zusammenarbeit mit Hitler gerechtfertigt. Verwunderlich sei indes, dass andere Firmenlenker, die genauso handelten, nicht angeklagt wurden. Auch das habe mit dem "Mythos Krupp" zu tun, der sich immer zwischen den Polen Verherrlichung und Dämonisierung bewege.

Blick in die Ausstellung "200 Jahre Krupp. Ein Mythos wird besichtigt" (Foto: Ruhr Museum Essen)
Die Krupp'sche Welt im Ruhr MuseumBild: Ruhr Museum

Die spannendste Frage für Museumsdirektor Grütter war und ist, wie Krupp es schaffen konnte, so viele Jahre zu überleben. Die Gründe sieht er in der kontinuierlichen Entwicklung innovativer Verfahren, der schnellen Umsetzung der Erkenntnisse und der Einrichtung eigener Forschungsabteilungen. Soweit die technische Seite. Auf der menschlichen Seite sieht Grütter ein altes Unternehmerideal als entscheidenden Vorteil: Für die Krupps habe der langfristige Erhalt von Firma und Familie ganz oben gestanden, nicht kurzfristige Gewinnmaximierung. Damit verbunden sei auch ein soziales Verantwortungsgefühl für die Belegschaft. Prasser, die das Familienvermögen verjubelt hätten, gab es nicht.

Dem unvoreingenommenen Besucher mag das ein bisschen zu schön zu klingen, um wahr zu sein. Vielleicht ist aber so wie das, was in der Essener Ausstellung von der Krupp-Familie gezeigt wird: Mythos und Realität zugleich.