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Grüne Frucht mit schwarzen Kernchen

Fabian von der Mark 11. Mai 2016

In Stuttgart wird Geschichte geschrieben: Zum ersten Mal wird in Deutschland eine Koalition aus Grünen und Konservativen gebildet, bei der die Merkel-Partei CDU kleiner Partner der einstigen Öko-Revoluzzer wird.

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Thomas Strobl und Winfried Kretschmann (Foto:picture-alliance/dpa/D.Calagan)
Der konservative Strobl von der CDU (ohne Krawatte) und der grüne Kretschmann (mit Krawatte)Bild: picture-alliance/dpa/D.Calagan

Der Titel des bläulichen Buches sagt eigentlich alles, über die Unglaublichkeit dessen, was im Südwesten Deutschlands gerade passiert. "Grüner Weg durch schwarzes Land" heißt das 287-seitige Buch, das 1989 ein gewisser Winne Hermann herausgegeben hat. Damals waren die Kräfteverhältnisse klar: Die CDU (schwarz) hatte 49 Prozent, die Grünen hatten 7,9 Prozent im baden-württembergischen Landtag und CDU-Abgeordnete hatten kaum mehr als ein müdes Lächeln übrig für die kleine Öko-Partei.

Buchcover "Grüner Weg durch schwarzes Land " (Foto: Edition Erdmann)
Bild: Edition Erdmann

Jetzt also die Kiwi-Koalition

27 Jahre später hat der Ex-Herausgeber Winne Hermann die erste grün-schwarze Koalition Deutschlands mitentworfen und Baden-Württemberg ist jetzt ein grünes Land. Einfallsreiche Koalitions-Namensgeber haben die Konstellation aufgrund der Stimmengewichte Kiwi-Koalition genannt. Jetzt könnte man ein Buch zur Lage der Grünen im Ländle also "Grüne Frucht mit schwarzen Kernchen" nennen. Oder in Zahlen: Die Grünen haben 30,3Prozent der Sitze und stellen den Ministerpräsidenten, die CDU hat bei den Wahlen im März 27 Prozent geholt. Das Ganze ausgerechnet im Land von Daimler, Bosch und Porsche; dem Land, in dem die CDU seit dem Zweiten Weltkrieg immer stärkste Kraft war. Ende der 80er Jahre war eine solche Aussicht für die Grünen in etwa so wahrscheinlich, wie eine Pleite von Daimler, Bosch und Porsche zusammen.

"Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern"

Im Vorwort seines Buchs schrieb Winne Hermann 1989: "Manches, was noch vor wenigen Jahren selbstverständlich war, wirkt heute schon komisch." Das gilt für heute erst recht.

Gruppenbild der ersten grünen Landtagsfraktion (Foto: Edition Erdmann)
Die ersten Grünen im Stuttgarter Landtag. Damals schon dabei: Winfried Kretschmann, ganz links.Bild: Edition Erdmann

Als die Grünen mit ihrer Mischung aus Umweltschutz, Friedenspolitik und großem Drang zu gesellschaftlichen Veränderungen Anfang der 80er Jahre im tiefschwarzen Baden-Württemberg antraten, warnten die anderen Parteien noch: "Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern." Und zehn Jahre später schrieb CDU-Ministerpräsident Lothar Späth im benannten Buch über die von Anti-Atom- und Abrüstungs-Bewegung geprägte Partei: "Solange die Grünen nicht eindeutig mit sympathisierenden Krawallmachern und Gewalttätern brechen, die mit Steinen und Stahlkugeln für Randale sorgen, wird die Partei fragwürdig bleiben."

Auch schon mal Krawatte und Anzug

Die Südwest-Grünen selbst hatten damals schon wenig Berührungsängste zu Politikern anderer Lager. Sie nahmen nicht nur Sozialdemokraten auf, die von Helmut Schmidts Atomenergie-Kurs enttäuscht waren, sondern auch ökologisch-interessierte Konservative wie den ex-CDU-Abgeordneten Herbert Gruhl. Die Devise der Grünen damals: "Nicht links oder rechts, sondern vorn". Anders als in anderen Bundesländern hatte in Baden-Württemberg nicht die vollbärtige Strickpulli-Fraktion der sogenannten "Fundis" das Sagen - politisch eher links - sondern von Anfang an die "Realos" - politisch eher pragmatisch. Das half beim Kontakt zum politischen Gegner. So schrieb Lothar Späth über den eher bürgerlichen Habitus der Grünen in Baden-Württemberg: "Nicht nur, daß einige von Ihnen im Stuttgarter Landtag auch schon mal Krawatte und Anzug tragen und mitunter eine sehr verbindliche Tonart anschlagen - der Landesverband ist verhältnismäßig programmatisch ausgerichtet."

Ausgeprägter Gestaltungswille

Der Mega-Spitzenkandidat Kretschmann

Eine weitere Besonderheit der Grünen in Baden-Württemberg: Der ausgeprägte Gestaltungswille. Winfried Kretschmann zum Beispiel, heute sensationell beliebter Ministerpräsident, schielte schon in den 80ern als Oppositionspolitiker im baden-württembergischen Landtag nach Machtoptionen und Koalitionspartnern. Schon früh dachte Winfried Kretschmann über eine Zusammenarbeit mit der SPD nach. Und selbst das Undenkbare wurde in Baden-Württemberg früh gedacht: eine Zusammenarbeit mit der CDU. 1987 schlugen die Südwest-Grünen vor, punktuell mit der CDU zusammen zu arbeiten. Sogar eine Minderheitsregierung von Lothar Späth hätten sie toleriert.

Im Buch schrieb ein Grüner damals dazu: "Tabuverletzungen solchen Kalibers entspringen nackter Verzweiflung - oder einer erstaunlichen Mischung aus Mut und Selbstbewusstsein." Die Bundespartei zog damals nicht mit. Prominente Fürsprecher einer Öffnung zu den Konservativen gab es dennoch genug. Selbst Grünen-Star Joschka Fischer fand die Konservativen verlässlicher als die Sozialdemokraten. Auch wenn der Ober-Realo im Buch-Interview einräumte: "Ich mache mir keine Illusionen. Die inhaltliche Schnittmenge mit der CDU ist letztlich sehr klein."

Kretschmann blieb dem Ländle treu

Joschka Fischer 2002 (Foto: picture-alliance/Sven Simon)
"Was die Vertragstreue anbelangt, sind die Konservativen zuverlässiger bei der Zusammenarbeit als die Sozis." sagt Joschka Fischer im Buch.Bild: picture-alliance/Sven Simon

Joschka Fischer, selbst ursprünglich aus Baden-Württemberg, hat auf Bundesebene eine große Karriere als erster grüner Außenminister hingelegt. Er verließ das zuweilen etwas bräsig wirkende Baden-Württemberg und ging über Hessen und Bonn nach Berlin. Auch Buch-Herausgeber Hermann ging nach Berlin, kehrte aber nach Baden-Württemberg zurück. Als Verkehrsminister. Nur ein berühmter Grüner der ersten Stunde ist immer in der Heimat geblieben. Winfried Kretschmann. Seit vier Jahren regiert er das wirtschaftsstarke Bundesland ohne erkennbare Schwierigkeiten. Mit seiner Glaubwürdigkeit hat Kretschmann es zu historisch einmaligen Beliebtheitswerten gebracht. Was ihn auszeichnet ist vielleicht das, was Joschka Fischer im Buch über seine alten Gefährten sagt: "Diejenigen, die zu Hause bleiben, wissen, was sie zu tun haben. Ihre Gangart ist ruhiger und bedächtiger. Aus jeder kleinen Schraube wird noch was gemacht. So sind auch die Grünen in Baden-Württemberg".

Winfried Kretschmann wird an diesem Donnerstag erster Chef einer grün-schwarzen Landesregierung in Deutschland. Hätte ihm das jemand 1989 prophezeit - er hätte die Schraube wohl für reichlich locker gehalten.