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Verloren

18. Februar 2012

Von Pfarrer Ralph Frieling, Bad Sassendorf

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Der evangelische Pfarrer Ralf Frieling
Bild: DW

Was für ein Glück ist, es gefunden zu werden!Mancher kennt das noch aus jungen Elterntagen: Das Kind spielt Verstecken, und hinter dem Schlafzimmervorhang gluckst es herum und wartet nur darauf, vom Vater entdeckt und hoch auf die Arme genommen zu werden. Was damals Spiel war, ist für viele Erwachsene Ernst geworden. Wie gern hätten sie es, dass sie mal jemand findet.

Vielleicht so wie der Groschen in dieser Geschichte im Lukasevangelium (Lukas 15,7-10). Eine Frau hatte zehn Silbergroschen gespart. Einer ging verloren. Die Frau nahm eine Lampe und suchte in jeder Ecke, unter dem Tisch und der Kommode, unter dem Bett und im Müll. Mit dem Besen kehrte sie das ganze Haus aus. Bis sie die das Klimpern hörte und die Münze fand. Erleichtert und beglückt erzählte sie davon ihren Freunden und Nachbarn.

Einige Menschen kommen sich vor wie der verlorene Groschen. Sie sind aus ihrem normalen Leben heraus gefallen, aus der Bahn gerollt und in einer Nische gelandet, wo sie niemand mit ihren Sorgen wahr nimmt.

• Der Witwer, allein in der Wohnung, die Ehefrau seit einem halben Jahr tot. Aus der Traum vom gemeinsam verbrachten Lebensabend. Ihr unwiderstehliches Lachen ist verstummt. Er hat kaum Lust raus zu gehen, den ganzen Tag sitzt er zu Hause. Besuch bekommt er selten. Für die Freundschaftspflege war seine Frau zuständig gewesen: Gibt es eine Zukunft und eine Aufgabe für ihn?

• Die junge Frau, früh mit 18 das Kind gekriegt, sitzen gelassen von ihrem Freund, überfordert als allein erziehende Mutter: Wer wird sie unterstützen?

• Der ausgezehrte Mann im Zug, Mitte 20, der leer vor sich hin stiert: Drogen genommen, Ausbildungsplatz verloren, kein Geld, keine Wohnung, der Gedanke „Keiner will mich, keiner braucht mich.“: Gibt es für ihn eine zweite Chance?

• Die Geschäftsfrau, ohne Aufträge. Der Kredit gekündigt, das Unternehmen insolvent, arbeitslos: Kommt sie alleine wieder hoch?

So manche Menschen haben die Orientierung und ihren Lebenssinn verloren. Ihre Lebenslust ist verschütt gegangen. Sie fühlen sich einsam, vergessen wie die Münze unter dem Schrank, wertlos und entbehrlich. Ihr derzeitiges Leben erscheint ihnen dunkel und wie angestaubt, ohne Glanz. Es ist notwendig, dass jemand nach ihnen sucht. Wie jene Frau mit großer Ausdauer nach dem Silbergroschen gesucht hatte, die ihre Lampe nahm und das Haus auskehrte.

Menschen in ihrer Krise auf zu suchen, nach ihnen zu schauen, nach zu fragen, wie es ihnen geht, kostet meistens Kraft, Geduld und Ausdauer. Und leicht ist es oft nicht, sich diese Extrazeit für den anderen zu nehmen, herauszufinden was er oder sie braucht: Das kann ein langes Gespräch sein, oder auch einfaches Zuhören. Eine Therapie oder auch Geld und eine professionelle Beratung. Was wir anderen von uns aus geben können, die sich verloren vorkommen, ist Zeit und Geduld, vielleicht neue Ideen und das Gefühl: Du bist nicht verloren, du kannst wieder zu dir selbst finden.