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Verraten und verkauft

Kristin Helberg 28. April 2003

Sie glaubten, für eine gemeinsame Sache zu kämpfen. Viele syrische Freiwillige im Irak bezahlten dafür mit dem Leben. Die Zurückgekehrten haben ihre Hoffnung verloren. Kirsten Hellberg hat einige in Damaskus getroffen.

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Kämpfer bei der Gefangennahme durch britische SoldatenBild: AP

Offiziell ist die syrisch-irakische Grenze geschlossen, dennoch kommen freiwillige Kämpfer aus dem Irak zurück nach Damaskus. Ihre Pässe mussten sie bei der irakischen Armeeführung abgeben, ausweisen können sie sich also nicht. Wen die amerikanischen und syrischen Kontrollposten passieren lassen und wen nicht, ist schwer zu durchschauen - die Rückkehr nach Hause ist für die jungen Männer meist Glücksache.

Jeder hat seine persönliche Geschichte

Manche erzählen von Verrat und Feindseligkeit der irakischen Truppen, andere von Hilfsbereitschaft und Unterstützung der irakischen Bevölkerung. Viele haben im Kampf Freunde und Bekannte verloren und bringen den Familien Gewissheit über die bislang Vermissten. In Damaskus' Stadtteil Yarmuk, in dem vor allem syrische Palästinenser leben, hängen fast täglich neue Todesanzeigen an den Häuserwänden.

Hassan steht vor einer unverputzten Hauswand und liest Todesanzeigen. Drei Fotos, drei Namen, drei junge Männer, die freiwillig in den Krieg zogen und nicht zurückgekehrt sind. Der in der Mitte ist Nidal, ein enger Freund von Hassan. Geboren 1977, gestorben am 1. April 2003. Bis vor einer Woche hat Nidals Mutter Kamle nicht gewusst, dass ihr Sohn tot ist, nur gespürt hat sie es."Als Mutter folge ich meinem Herzen", sagt sie. "Eines Nachts bin ich aufgewacht, meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich bin aufgestanden und an die frische Luft gegangen. Zwei Stunden hat er in jener Nacht gekämpft, haben sie mir später erzählt, um 4 Uhr morgens ist er gestorben." Die 57-Jährige wirkt gefasst. Neben ihr auf dem Sofa sitzt Fadi, Nidals Freund.

Glaube niemandem, nur dir selbst

Zusammen sind die beiden jungen Palästinenser am 13. März in den Irak aufgebrochen, zurückgekommen ist er jetzt alleine. "Ich hatte Glück. Manche werden verhaftet, manche erschossen. Das ist zumindest das, was wir hören." Fadi ist skeptisch gegenüber solchen Gerüchten. Im Krieg hat er sich angewöhnt, grundsätzlich niemandem zu glauben. Selbst seiner eigenen Wahrnehmung misstraut der 27-Jährige. Die Bilder in seinem Kopf seien noch zu frisch. "Ich komme gerade aus dem Krieg zurück, meine Freunde sind tot, ich kann nicht klar denken. Wir haben gegessen, getrunken, geschlafen, wenn der Feind kam, haben wir gekämpft, das ist alles."

Verrat und Unsicherheiten

Isa ist schon seit zwei Wochen wieder da. Er hat in der Nähe von Kerbela versucht, mit Maschinengewehren und Granaten die amerikanischen Truppen aufzuhalten. Irgendwann sei das Kämpfen sinnlos gewesen, sagt der 22-Jährige, vor allem, weil sich kaum irakische Soldaten daran beteiligt hätten. "Wir sind zurückgekommen, weil es überall Verrat gab und wir nirgends sicher waren. Die Schiiten standen auf Seiten der Amerikaner, viele Iraker wollten uns ausliefern. Die Amerikaner haben für jeden Mudschahid 2000 Dollar bezahlt."

Auch Fadi hat von Verrat gehört, er persönlich habe jedoch gute Erfahrungen mit den Irakern gemacht. Der Palästinenser warnt vor Verallgemeinerungen und betont, mit Religion habe das nichts zu tun. "Sie sagen, die Schiiten haben uns verraten, das stimmt nicht. Jemand wird zum Verräter, weil er käuflich ist, nicht weil er Schiit ist. Uns haben die Schiiten Essen, Trinken und Geld angeboten. Das Geld haben wir nicht genommen, aber ihr Essen abzuweisen, wäre unhöflich gewesen."

Wie die Mongolen ...

Fadi erzählt, er habe sich in der Nähe von Kut in einem ausgetrockneten Flussbett vor den Luftangriffen versteckt. Bei Tausenden von Bomben sei es egal, wie intelligent jede einzelne ist, meint Fadi, sie hätten doch vor allem Zivilisten getroffen. Isa glaubt, dass die meisten Opfer Freiwillige waren. Viele würden wohl für immer vermisst bleiben, weil ihre Leichen nicht zu identifizieren seien.

"Jeder von uns hat im Irak seine eigene Heimat verteidigt", sagt Fadi. Syrer, Jordanier, Palästinenser, sie alle hätten gewusst: Wenn sie die Schlacht im Irak verlieren, wird sich in der Region alles ändern. "Die Hoffnung ist weg, meine Freunde sind weg, der Irak ist weg. Das Öl gehört jetzt den Amerikanern, die Museen sind zerstört, die Geschichte gestohlen, der Koran des Kalifen Ali ist verbrannt. So wie einst die Mongolen sind jetzt die Amerikaner über Bagdad her gefallen."