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Verschleppte Aufarbeitung

Isabella Bauer19. April 2014

Der Prozess gegen Kenias Staatschef Kenyatta vor dem Weltstrafgericht droht aus Mangel an Beweisen zu platzen. Überlebende der Gewalt von 2007 fürchten, dass die Gerechtigkeit ganz auf der Strecke bleibt.

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Bemalung einer Absperrung im Slum Kibera in Nairobi (Foto: DW/I. Bauer)
Bild: DW/I. Bauer

Die engen Gassen von Kibera sind gesäumt von Blech- und Holzhütten. Hier, im größten Slum von Kenias Hauptstadt Nairobi, leben Menschen, die sich als Handwerker, Händler oder Imbissverkäufer über Wasser halten - und Hunderttausende Arme ohne Job. Einen Anwalt kann sich hier kaum jemand leisten. Wer Hilfe braucht, geht zu Menschenrechtsvereinigungen wie dem "Kibera Community Justice Centre". Die meist ehrenamtlichen Rechtsberater haben alle Hände voll zu tun, denn viele Slumbewohner leiden noch immer unter den Folgen der gewaltsamen Ausschreitungen nach den Wahlen 2007. Damals gingen Angehörige der Kikuyu und Kalenjin - aufgehetzt von den konkurrierenden Präsidentschaftskandidaten - mit Messern, Macheten und Eisenstangen aufeinander los. Auch Polizei und Militär beteiligten sich an den Gewaltexzessen, bei denen mehr als 1000 Menschen starben.

Kenias Präsident Uhuru Kenyatta soll sich deshalb vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Er soll die Gewalt angezettelt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Mitangeklagt ist sein Vize William Ruto. Schon mehrmals wurde der Prozessauftakt gegen Kenyatta verschoben. Wichtige Zeugen sind verstummt, es mangelt an Beweisen. Die Anklage droht zu platzen.

Opfer fordern Aufklärung

Rechtsberater im Slum Kibera: Stanislaus Alusiola (Foto: DW/I. Bauer)
Rechtsberater im Slum Kibera: Stanislaus AlusiolaBild: DW/I. Bauer

Rechtsberater Stanislaus Alusiola schüttelt den Kopf. Er hat unzählige Fälle von Überlebenden aufgenommen und erinnert sich etwa an die Berichte einer Frau, die von uniformierten Männern zu Hause überfallen wurde und ihre ganze Familie verlor. "Sie haben ihren Mann getötet. Sie haben die Tochter vor den Augen ihrer Mutter und die Mutter in Anwesenheit ihrer Tochter vergewaltigt. Dann nahmen sie die Tochter mit", sagt Alusiola. Die Tochter sei nach wie vor verschwunden und die örtliche Polizeistation wolle keine Auskunft darüber geben, ob sie in dem Fall ermittelt oder nicht. Bis heute hat die Witwe keinerlei Hilfe bekommen. Durch die Vergewaltigung ist sie mit dem HI-Virus infiziert; es fehlt ihr am Nötigsten. Unzählige Überlebende teilen ein ähnliches Schicksal. Sie fordern die Aufarbeitung der Verbrechen, Gerechtigkeit und vor allem Reparationen, die ihnen zumindest finanziell helfen sollen.

Ehrliche Nachforschungen?

Große Hoffnung setzen sie dabei in die Arbeit der Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission (TJRC), die die Regierung 2008 ins Leben gerufen hat. Sie soll Ursachen und Folgen der Benachteiligung verschiedener Gruppen und Ethnien sowie schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Dabei soll eine Geschichtsschreibung des Landes entstehen, auf die sich alle verständigen können. "Die Fülle der Daten und Informationen, die öffentlichen Anhörungen selbst - das, was die Leute zu erzählen haben, ist der größte Reichtum dieser Kommission. Das wird niemals wieder verloren gehen", sagt Nelly Kamunde, Forschungsleiterin der Kommission. "Ich bin stolz darauf, dass wir die meisten Aussagen haben, die je von einer solchen Kommission gesammelt wurden."

Blick über den Slum in Kibera in Nairobi (Foto: DW/I. Bauer)
Hunterttausende leben in Nairobis größtem Slum KiberaBild: DW/I. Bauer

Dennoch gibt es heftige Kritik an der Arbeit der Kommission. So wurden etwa Gebiete wie Kibera, in denen staatliche Organe massive Menschenrechtsverletzungen begangen haben, bislang bei den Nachforschungen ignoriert. Auch haben nicht alle Mitglieder der Kommission alle Ergebnisse unterzeichnet - aus politischen Gründen. Mehrere Seiten des Berichts, in dem die Familie von Präsident Kenyatta ernsthafter Vergehen beschuldigt wird, sind nachträglich aus dem Bericht entfernt worden. Das alles wird öffentlich diskutiert - bisher aber ohne ernsthafte Folgen.

Prozessausgang in Den Haag setzt Zeichen

Menschenrechtsorganisationen und Opferverbände hoffen daher umso mehr auf den Prozess gegen Uhuru Kenyatta und William Ruto in Den Haag. Er solle ein Zeichen setzen, dass Gerechtigkeit kein Luxusgut sei, das je nach politischer Lage gehandelt werden könne. Mit dem drohenden Scheitern der Anklage gegen den Präsidenten sind die Hoffnungen auf einen wenigstens teilweise gerechten Ausgang des gesamten Verfahrens jedoch stark gesunken. "Wenn der Prozess scheitert, sendet dies eine klare Botschaft: Du kannst straflos davonkommen, wenn Du nur schlau genug bist", erklärt Aimee Ongeso von der Menschenrechtsorganisation Kituo Cha Sheria in Nairobi. "Die Menschen werden sich nicht mehr an Regeln halten - mit einer Regierung, die für sich selbst Straflosigkeit in Anspruch nimmt."

Kenianischer Präsident Uhuru Kenyatta (Foto: AFP)
Angeklagt vor dem Weltstrafgericht: Uhuru KenyattaBild: Simon Maina/AFP/Getty Images

Viele Bürger fürchten, dass das Rechtssystem Kenias insgesamt untergraben wird, sollten die Verantwortlichen der Gewalttaten von 2007 straflos bleiben. Sie fürchten sich auch vor der heranwachsenden Generation der Überlebenden, die verbittert ist und ihre Traumata weiter gibt. Und sie fürchten sie sich vor neuer Gewalt, die daraus in den nächsten Jahrzehnten erwachsen könnte.