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"Vertrauen muss neu aufgebaut werden"

Anna Peters12. April 2013

Azamat Damir ist Redakteur der türkischen Nachrichtenagentur Cihan und auf Platz 62 der Akkreditierungsliste zum NSU-Prozess. Im DW-Interview spricht der Journalist über seine Erwartungen an das Gerichtsverfahren.

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Auf dem Foto sieht man ein Porträtbild des Redakteurs Azamat Damir. Foto: privat
Azamat Damir ist Cihan-RedakteurBild: Cihan

DW: Was halten Sie von dem Akkreditierungsverfahren zum NSU-Prozess?

Azamat Damir: Erstens muss ich sagen, haben es die türkischen Medien - insbesondere auch wir - für selbstverständlich erachtet, dass für türkische Medien Plätze freigehalten werden, und dass wir Medien einen festen Platz bekommen würden. Aber dann hat sich herausgestellt, dass nach dem Windhundprinzip die ersten 50 Plätze vergeben worden sind. Heute sind Berichte zu lesen, in denen gesagt wird, dass manche Journalisten früher davon Bescheid wussten und manche Journalisten die Akkreditierungs-Mail erst später bekommen haben als die anderen. Das heißt, dass nicht alle die gleichen Voraussetzungen hatten. Daher müsste die Sache vielleicht neu aufgerollt und die Akkreditierung neu angefangen werden.

Wie hat Cihan das Akkreditierungsverfahren zum NSU-Prozess erlebt?

Ich weiß nicht, ob ich die Mail zu spät bekommen habe. Sie ist so gegen 09:05 Uhr angekommen. Und ich musste mich erst in Istanbul melden, um eine Redaktionsbestätigung zu bekommen. Diese kam erst ein bisschen später. So nach vier Stunden etwa habe ich mich akkreditiert und war dann auf Platz 62 der Akkreditierungsliste. Wenn ich gewusst hätte, dass es am 4. März los geht, hätte ich am 3. März schon die Papiere fertig stellen und als Anhang im Internet hochladen, warten und am 4. März sofort antworten können. Dann wäre ich vielleicht auch unter den ersten zehn oder ersten 50 reingekommen. Das wäre eine Möglichkeit gewesen.

Damit ist Ihre Agentur das türkische Medium mit den aussichtsreichsten Chancen auf einen Platz im Saal. Rechnen Sie damit, dass Sie nachrücken werden?

Ich bin sehr beeindruckt von der Solidarität unserer deutschen Kollegen. In diesen Tagen wird versucht, mindestens drei Plätze für türkische Kollegen freizustellen. Das hängt natürlich davon ab, ob alle mitspielen. Ich bin der 62. auf der Liste, die anderen türkischen Medien sind noch weiter hinten. Ich hoffe schon, dass wir einen Platz bekommen, aber das ist eine Glückssache geworden. Ich muss auf freie Plätze hoffen und dass ich dabei sein kann. Es wäre schade, wenn keiner von uns reinkommt.

Wie werden Sie vom Prozess berichten, und gibt es Kooperationen mit deutschen oder türkischen Medien?

Wir werden vielleicht noch mit einigen Zeitungen und Nachrichtenagenturen zusammenarbeiten. Aber an erster Stelle steht, dass zumindest einer von uns auf jeden Fall reinkommt. Da müssten wir vielleicht einen Pool bilden. Die deutschen Medien sind ja für uns auch sehr wichtig, sie sind auch eine der wichtigsten Quellen, die wir nutzen in Deutschland. So gesehen hoffen wir, dass wir unmittelbar an Informationen kommen. Jeder will seine eigene Story schreiben, das ist sehr wichtig für Journalisten. Ein Journalist will auch die Atmosphäre in diesem Prozessraum selber fühlen und die Angeklagten und die Kläger sehen. Von daher ist es sehr wichtig, dass die Journalisten selber im Saal anwesend sind.

Also haben Sie vor mit, anderen türkischen Medien zusammenzuarbeiten? 

Ja, auf jeden Fall! Alle Medien in der Türkei sind unsere Kunden, das heißt, was wir schreiben, bekommen alle Medien in der Türkei. Wir haben nicht vor, Informationen für uns zu behalten. Wir würden einen Pool anbieten und den anderen alle Informationen weiterleiten.

Wie stark ist das Interesse der türkischen Bevölkerung an dem NSU-Prozess?

Es wird ja gesagt, dass acht türkischstämmige Geschäftsleute umgebracht wurden. Daher wird dieser Prozess in der Türkei mit einem sehr großen Interesse verfolgt, aber nicht nur in der Türkei, sondern auch von türkischen Medien und der türkischen Community in Deutschland. Die Gründe dafür sind erstens, dass die Opfer aus der Türkei kamen und zweitens, dass diese Morde nicht aufgeklärt wurden. 13 Jahre lang war diese Terrorzelle untergetaucht und konnte zehn Menschen unaufgedeckt ermorden. Von daher hat der Prozess im Vorfeld für sehr großes Aufsehen gesorgt, und er wird mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.

Welche Erwartungen hat die Türkei am Prozessverlauf?

Von offiziellen türkischen Stellen wird immer wieder gesagt, dass sie volles Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat und die Justiz haben. Und man hofft, dass sehr viele Fragen, die noch offen sind, beantwortet und die Taten der Helfer und Hintermänner des Trios voll aufgeklärt werden. Und sie hoffen auch, dass die vielen Fragen, die noch offen sind, voll beantwortet werden. So dass wir am Ende sagen können, jetzt wissen wir alles, so etwas sollte nie wieder passieren.

Wie würden Sie die aktuellen deutsch-türkischen Beziehungen charakterisieren?

Ich würde sagen, dass die deutsch-türkischen Beziehungen auf allen Ebenen auf einem hohen Niveau sind. Es wird ja immer wieder zur Sprache gebracht, dass durch diesen Prozess die Beziehungen Schaden nehmen konnten, was jedoch von offiziellen Stellen widerlegt wurde. Ich glaube schon, dass durch das NSU-Verfahren kein Schaden entsteht. Aber das Vertrauen der türkischen Community und das Vertrauen der türkischen Öffentlichkeit hat schon Schaden genommen. Und dieses verlorene Vertrauen muss neu aufgebaut werden.

Was sollten Ankara und Berlin unternehmen, um die Wogen zu glätten?

Bei dieser Frage bin ich überfragt. Also ich sehe keine großen Probleme in offiziellen Bereichen oder dass wir durch diesen Prozess nicht mehr miteinander kooperieren werden. Beide Seiten wissen ganz genau, dass die Justiz unabhängig ist. Und davor haben wir auch großen Respekt, also beide Seiten. Aber man sollte auch mehr Sensibilität zeigen und schon von Anfang an Plätze für internationale Medien, insbesondere für türkische Medien freistellen. Und vielleicht auch für den diplomatischen Korpus ein paar Plätze freihalten, da der Botschafter der Türkei nicht in der Schlange stehen sollte, ebenso Mitglieder der türkischen Regierung.

Cihan ist eine türkische Nachrichtenagentur mit Sitz in Istanbul. Zu ihren Kunden zählen u.a. die türkische Zeitung Zaman, BBC und Al-Jazeera. Die Agentur unterhält weltweit Korrespondenten. Azamat Damir ist Cihan-Redakteur im Berliner Büro.

Das Interview führte Anna Peters.