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EU sperrt Gelder

27. November 2008

Erstmals in der Geschichte der EU wurden die Regional- und Strukturförderungen für einen Mitgliedsstaat gestoppt: In Bulgarien, so der Vorwurf aus Brüssel, herrsche ein nicht mehr tolerierbares Maß an Korruption.

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Kein Geld mehr aus Brüssel

Die zwei zuständigen bulgarischen Agenturen für EU-Fördergelder haben ihre Akkreditierung bei der EU verloren. Rund 220 Millionen Euro aus dem Beitrittsprogramm PHARE können damit nicht mehr bis Ende des Jahres abgerufen werden und sind praktisch damit für Bulgarien verloren.

Die bulgarische Vize-Ministerpräsidentin Megelena Plugtschieva, die für die EU-Gelder zuständig ist, reagierte überhaupt nicht glücklich: „Ich bin zutiefst enttäuscht von dem Brief aus Brüssel“. Dabei verwies sie auf Maßnahmen gegen die Korruption in ihrem Land. In den vergangenen Monaten habe die Regierung viele Entscheidungen getroffen und große Änderungen durchgeführt – sowohl im Struktur- als auch im Personalbereich, meint Plugtschieva.

Vertrauen verspielt

Das stimmt sogar. Nur: in der Zeit davor hat Bulgarien eklatante Versäumnisse bei der Korruptionsbekämpfung an den Tag gelegt und Brüssels Vertrauen über die Maße strapaziert. Angefangen hatte der Alptraum für die Regierung in Sofia mit einer Zeitungspublikation. Der Journalist der Wochenzeitung „Kapital“, Ivan Michalev, erinnert sich: „Der Anfang war im Januar, als unsere Zeitung die Information veröffentlichte, dass der staatliche Verkehrsbau-Fonds Aufträge in Höhe von 60 Millionen Euro an Privatfirmen vergeben habe, die dem Bruder des Fondschefs gehören.“ Ein klarer Verstoß gegen die Regeln zur europaweiten öffentlichen Ausschreibung von Aufträgen. Einige Monate später wurden zwei Angestellte des Fonds wegen der Annahme von Bestechungsgeldern in Höhe von 25.000 Euro festgenommen. Gleichzeitig saßen im Aufsichtsgremium des Fonds ganze drei Minister der regierenden bulgarischen Sozialistischen Partei. Aus Brüssel hieß es dazu inoffiziell: Jetzt hat Bulgarien das EU-Vertrauen verspielt.

Millionenschaden für die EU

Im Frühjahr dieses Jahres wurden 520 Millionen Euro Fördergelder im Rahmen aller drei Beitrittsprogramme PHARE, ISPA und SAPARD eingefroren. Unabhängige Rechnungsprüfer brachten inzwischen Dutzende von Korruptionsfällen, Interessenskonflikten und administrativen Fehlentscheidungen ans Tageslicht. Der größte Betrugsfall bleibt aber das Netzwerk um die Geschäftsleute Mario Nikolov und Ljudmil Stoykov. Die tauchen sogar im Bericht der EU-Antikorruptionsbehörde OLAF auf, als „kriminelles Netz von über 50 bulgarischen, ausländischen und Off-Shore-Firmen“. Die Firmen hatten beispielsweise alte Maschinen für die Lebensmittelindustrie gekauft, sie in der Folge aber als Neue abgerechnet. Der EU entstand dadurch ein Schaden von rund sieben Millionen Euro. Pikante Nebenbemerkung: Die Gruppe Nikolov-Stojkov stand auf der Liste der Sponsoren für die Wiederwahl des sozialistischen Staatspräsidenten Georgi Parvanov im letzten Jahr.

Milliardeninvestionen auf der Kippe

„Die Brüsseler Geldsperre kommt für Bulgarien zu einem äußerst ungünstigen Augenblick“, sagt der Präsident des Arbeitgeberverbandes, Ivo Prokopiev. Denn das Land sei von der Finanzkrise schwer betroffen: „Ich kann mir kein schlechteres Geschenk für die bulgarische Wirtschaft vorstellen, aber auch für die Haushalte, für die Verbraucher und die Steuerzahler in Bulgarien. Denn die Verantwortung für die Missstände tragen zwar die Politiker, aber die Bürger müssen die Zeche bezahlen.“

Der Direktor des bulgarischen Geldinstituts 'Bulbank', Levon Hampartsumian, sieht sogar noch weiterreichende Folgen: „Das derzeitige materielle Problem ist das kleinere Übel, glaube ich. Viel schlimmer wird sich diese Nachricht im Hinblick auf noch zu erwartende Fördergelder auswirken.“ Denn eigentlich erwartet das Land rund sieben Milliarden Euro für Investitionen in die Landwirtschaft – und auch dieses Geld, das 'Große Geld', wie man in Sofia sagt, steht gerade auf der Kippe.

Alexander Andreev