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Vertrauensvorschuss für Serbien-Montenegro

14. April 2005

Die Europäische Kommission hat den Weg geöffnet für Verhandlungen mit Serbien-Montenegro. Die Regierung in Belgrad sollte dieses Vertrauen nicht enttäuschen, meint Andrej Smodis in seinem Kommentar.

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Ein großer Tag für die Menschen in Serbien und Montenegro. Sie können beginnen, die ersten Verhandlungen zwischen Brüssel und Belgrad auf dem Weg in Richtung Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Mit Serbien-Montenegro befindet sich nun auch das letzte Land auf dem Balkan auf diesem Weg.

In der Entscheidung in Brüssel steckt zwar auch die Anerkennung der Anstrengungen der letzten Jahre, in Serbien und Montenegro die Demokratie voranzutreiben und wirtschaftlich den Anschluss an andere Transformationsländer zu schaffen. Die Entscheidung der EU-Kommission ist aber vor allem ein Zeichen, ein politisches Zeichen. Die Kommission sagt, und die Außenminister werden dies vermutlich in ein paar Wochen bestätigen, dass die Europäische Union alles tut, um die Menschen in Serbien-Montenegro bei ihren Reformen zu unterstützen, trotz aller bestehenden Unzulänglichkeiten.

Regierung und Opposition in Belgrad sollten diese feinen Nuancen beachten. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn hat die Entscheidung laut und deutlich interpretiert: die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag bleibt weiter oberste Priorität. Präziser noch: die Verbesserung dieser Zusammenarbeit bleibt Priorität. Tatsache ist, dass Regierungschef Vojislav Koštunica sein Amt 2003 antrat mit den Worten, die Kooperation mit Den Haag habe keine Priorität. Über ein Jahr lang wurde kein Angeklagter von Belgrad an das Tribunal überstellt. Und alle 11 Offiziere, die dieses Jahr in Den Haag eintrafen, haben sich freiwillig gestellt - verhaftet wurde niemand.

Es darf nicht sein, dass ein Angeklagter sich unter den Augen der serbischen Polizei in den Untergrund verabschiedet, wie kürzlich Ex-Armeechef Pavkovic. Und solange die Hauptkriegsverbrecher Karadzic und Mladic frei herumlaufen, und zwar womöglich in Serbien, kann man von einer Mitgliedschaft in der EU nicht einmal träumen. Die EU meint das ernst, wie man gesehen hat: die Verhandlungen mit Kroatien sind ausgesetzt worden, weil der angeklagte General Gotovina nicht verhaftet wird.

Der serbische Präsident Boris Tadic hat dies gut erkannt. In seiner Stellungnahme nach der Kommissionsentscheidung brachte er diese Erkenntnis - etwas überspitzt - auf den Punkt: Serbien wäre schon längst in der EU, wenn man sofort alle Angeklagten an Den Haag ausgeliefert hätte.

Die Entscheidung der EU vom Dienstag (12.4.) ist also ein großer Vertrauensvorschuss. Es ist nun an der Regierung in Belgrad, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen. Die mutmaßlichen Kriegsverbrecher müssen entschieden verfolgt werden, die Korruption muss weiter bekämpft werden, Serbien und Montenegro brauchen noch mehr Demokratie und vor allem auch mehr Marktwirtschaft.

Also müssen endlich die populistischen Sonntagsreden aufhören zum Beispiel über den Status des Kosovo. Spätestens jetzt muss die Regierung die Themen anpacken, die die Menschen wirklich bewegen: und das hat mit Privatisierung der Wirtschaft zu tun. Das tut zunächst den Menschen weh, ist aber langfristig der einzige Weg zum Wohlstand.

In seiner ersten Stellungnahme sprach Ministerpräsident Koštunica immer noch vom Kosovo, vom Erhalt des Staatengebildes Serbien-Montengro und vom Einzug in die EU. Erst danach führte der Regierungschef die Themen wirtschaftlicher Umbau und politische Veränderungen an. Wenn die Regierung diese Prioritätenliste nicht schleunigst umkehrt, wird der Weg Serbiens und Montenegros in die EU gleich am Anfang in einer Sackgasse enden.

Andrej Smodis
DW-RADIO/Serbisch, 13.4.2005, Fokus Ost-Südost