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Video über Verbrechen paramilitärischer Gruppe beschäftigt Gericht

Fabian Schmidt20. Dezember 2005

In Belgrad hat der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der serbischen Polizeisondereinheit "Skorpione" begonnen. Sie müssen sich wegen der Ermordung von sechs Zivilisten in der Umgebung von Srebrenica verantworten.

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Das Trauma Srebrenica wirkt nachBild: dpa

Die fünf Angeklagten, Mitglieder der berüchtigten serbischen Einheit "Skorpione", erschienen am Dienstag (20.12.2005) vor dem Sondergericht für Kriegsverbrechen in Belgrad. Die
Männer waren nach der Veröffentlichung eines Zeugenvideos
festgenommen worden, das die Ermordung von sechs Moslems aus Srebrenica im Juli 1995 nahe der Stadt Trnovo in Bosnien-Herzegowina zeigt.

Am 2. Juni dieses Jahres war ein Schock durch Serbien gegangen: Eine Video-Aufnahme der Ermordung der sechs bosnisch-muslimischen Zivilisten in der Nähe von Srebrenica durch Angehörige der serbischen Sonderpolizeieinheit "Skorpione" flimmerte über die Bildschirme tausender serbischer Haushalte. Auf dem Mitschnitt war zu sehen, wie die Peiniger ihre Opfer unter Beschimpfungen in einen Wald trieben und dann kaltblütig erschossen. Innerhalb von vier Tagen nach Ausstrahlung des Video-Bandes verhaftete die Belgrader Polizei mutmaßliche Angehörige der "Skorpione" und leitete gegen sie Ermittlungsverfahren ein.

Die Menschenrechtlerin Natasa Kandic hatte das Video von einem abtrünnigen Angehörigen der "Skorpione" zugespielt bekommen und veröffentlicht. Kandic sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass nun der Prozess begonnen habe, dass die serbische Öffentlichkeit mit den Verbrechen konfrontiert sei, die in ihrem Namen geschehen sind: "Dieser Prozess begann in Belgrad eigentlich mit einem Vorfall an der juristischen Fakultät. Mehrere tausend Studenten hatten an einer Podiumsdiskussion unter dem Titel 'Wahrheit über Srebrenica' teilgenommen, die aber das, was sich in Srebrenica abgespielt hatte, in einer serbisch-extremistischen Wahrnehmung widerspiegelte."

Öffentlichkeit geschockt

Als Reaktion darauf organisierten Nicht-Regierungs-Organisationen eine eigene Podiumsdiskussion, um Gegenposition zu beziehen. Aus diesem Anlass wurde erstmals die Video-Kassette gezeigt. Kandic erinnert sich: "Diese Video-Kassette hat in der Öffentlichkeit einen wahren Schock ausgelöst. Am nächsten Tag hat sich Regierungschef Vojislav Kostunica erstmals offen und kritisch zu Srebrenica geäußert. Nach ihm hat sich sofort auch der Präsident der Republik sehr klar geäußert und erklärt, wie die Bürger Serbiens sich fühlen, wenn sie wissen dass unter ihnen viele Kriegsverbrecher leben. Und er sagte auch, dass er nach Srebrenica gehen werde, um dort der Opfer zu gedenken."

Am 1. Juni wurde der Film erstmals beim Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag im Prozess gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic vorgeführt. Ankläger Geoffrey Nice sagte, die Brisanz des Filmes bestehe nicht nur in der Grausamkeit der Bilder, sondern auch in der Identität der Täter. Denn das waren nicht bosnische Serben, sondern sie gehörten einer Polizeieinheit an, die dem serbischen Geheimdienst und damit dem Innenministerium in Belgrad unterstanden. Ein Beweis dafür, dass es eine direkte Befehlskette von Milosevic zu den Tätern von Srebrenica gab. Anfang Juli 1995 hatten dort bosnische Serben und bewaffnete Einheiten aus Serbien nach Erstürmung der UN-Schutzzone etwa 8000 bosnisch-muslimische Männer umgebracht.

Priester segnet Soldaten

Brisant ist zudem, dass der Film eine Szene enthält, in der ein serbisch-orthodoxer Priester aus der Vojvodina vor der Tat die Soldaten segnete. Daraufhin veröffentlichte die Serbisch-Orthodoxe Kirche am 10. Juni eine Erklärung, in der die Taten als "kaltblütiger Mord an unbewaffneten und wehrlosen Zivilisten" verurteilt wurden.

Das Video hat die serbische Öffentlichkeit wachgerüttelt und die Täter stehen nun vor Gericht. Dennoch bezweifelt Natasa Kandic, dass die Politiker in Serbien die Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Tatsachen und deren Aufarbeitung wirklich vorantreiben wollen: "Ich glaube, dass die Vertreter der staatlichen Institutionen noch nicht zu dem Verständnis gekommen sind, dass es die Aufgabe dieser Regierung ist, sich dem zu stellen, was die vorangegangene Regierung getan hat, und dass sie mit diesem Erbe umgehen muss."