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Irak-Video

7. April 2010

Eigentlich hätte die Welt dieses Video nicht sehen sollen: US-Kampfpiloten lachen während eines Angriffs im Irak "über die toten Bastarde" und "schießen noch ein bisschen weiter" - jetzt tauchte es im Internet auf.

https://p.dw.com/p/MoSd
Video von wikiLeaks (Foto: AP)
Das Video, das nicht öffentlich werden sollteBild: AP

Wenn die Männer wüssten, was ihnen droht, würden sie ihre Kameras wegwerfen und davonrennen. So aber gehen sie mit zügigen Schritten ohne Hektik eine Straße in Bagdad entlang. Den US-Kampfhubschrauber hören sie mit Sicherheit, denn er kreist in nicht allzu großer Entfernung über ihren Köpfen. Aber das sind sie gewöhnt. Sie wissen nicht, dass sie ins Fadenkreuz der Soldaten geraten sind. Die halten die Kameras der Männer für Sturmgewehre und Granatwerfer.

Namir Noor-Eldeen (Archiv-Foto: AP)
War vermutlich unter den Getöteten: Der Reuters-Fotograf Namir Noor-EldeenBild: AP

Heute sind die Männer tot. Darunter sollen der 22 Jahre alte Namir Noor-Eldeen, Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters, und sein 40-jähriger Fahrer Saeed Chmagh sein. Der Internet-User sieht sie im Video aus der Perspektive der US-Kampfpiloten: Während sie noch ruhig auf der Straße laufen, diskutieren die Soldaten im Hubschrauber, ob diese gefährlich seien könnten. US-Einheiten am Boden waren zuvor unter Beschuss geraten und hatten die Helikopter zu Hilfe gerufen.

"Fackel sie alle ab!"

Es ist ein verstörendes Video, das die Internet-Plattform wikileaks.org am Montag (05.04.2010) veröffentlicht hat: Die geheimen Aufnahmen dokumentieren den Angriff eines US-Helikopters am 12. Juli 2007 in Bagdad. "Das ist eine Waffe", kommentiert die Zentrale die Videoaufnahme von der Bordkamera des Helikopters. "Ja", bestätigt der Pilot und bittet um die Erlaubnis anzugreifen. "Feuer frei", heißt es einige Augenblicke später. Eine Salve aus dem Maschinengewehr des Helikopters erklingt, im Hintergrund der Dialog der Besatzung per Funk: "Lasst uns schießen!" - "Fackle sie alle ab!" - "Komm schon, schieß!" - "Weiterschießen, weiterschießen!"

Durch den Zoom der Kamera sieht der Aufklärer an Bord des Hubschraubers, dass manche der Fußgänger längliche Objekte in der Hand halten. Hinter einer Hausecke scheint einer der Männer eine Waffe scharf zu machen - in Wahrheit wechselt er wohl nur ein Objektiv. Der weitere Verlauf der Aktion ist deshalb so erschreckend, weil Laien sehen, wie routiniert die US-Soldaten sich an die Tötung der vermeintlichen Aufständischen machen. Der Hubschrauber bringt sich in Schussposition, die Männer am Boden stehen dicht zusammen. Als die Maschinengewehre der Hubschrauber rattern, gehen die meisten sofort zu Boden, eine Staubwolke verdeckt für kurze Zeit die Sicht.

Video von wikiLeaks (Quelle: AP)
Zwölf Menschen werden 2007 in Bagdad von einem US-Kampfhelikopter beschossen und sterben. Das zeigt ein Militärvideo, das auf WikiLeaks zu sehen ist - vermutlich unter den Opfern: Zwei JournalistenBild: AP


"Schau dir die Bastarde an!"

Die hochauflösende Kamera zeigt, wie einer der Männer davonrennt. Die Macher von wikileaks.org glauben, darin den fliehenden Fotografen zu erkennen. Gegen die überlegene Technik der Hubschrauber ist er machtlos, er wird getroffen. "Ah, ja, schau dir die toten Bastarde an", sagt einer der Soldaten. Der einzige, der den ersten Angriff überlebt hat, ist der Reuters-Fahrer Chmar. Er ist offensichtlich verletzt und versucht, sich kriechend in Sicherheit zu bringen. Und tatsächlich naht Hilfe: Ein Kleinbus fährt vor, Männer springen heraus, eilen zu dem Verletzten. Obwohl die Helfer augenscheinlich nicht bewaffnet sind, drängt die Hubschrauber-Crew ihre Vorgesetzten, sie unter Beschuss nehmen zu dürfen. "Kommt schon, lasst uns schießen!" Als sich der Staub gelegt hat, ist die Straße mit Leichen übersät.

Die nächsten Einstellungen zeigen eine veränderte Szenerie: Die US-Bodeneinheiten sind mit Schützenpanzern und Geländewagen vorgefahren, spätestens jetzt muss ihnen klar sein, dass sie die Falschen erwischt haben. Sie bergen zwei verletzte Kinder aus dem Kleinbus. Der Soldat am Boden will sie in ein US-Lazarett bringen, doch ein Vorgesetzter gibt die Anweisung, sie in ein irakisches Krankenhaus zu bringen, der trockene Kommentar: "Ist ja ihre eigene Schuld, wenn sie ihre Kinder mit in die Schlacht nehmen."


Echtheit bestätigt

Screenshot WikiLeaks (Quelle: DW)
Auf WikiLeaks.org steht vieles, was eigentlich niemand wissen sollBild: AP

Was das Video brisant macht, ist nicht nur der Zynismus der US-Soldaten. Die Bilder, deren Authentizität Mitarbeiter der US-Streitkräfte gegenüber der Nachrichtenagentur AP bestätigt haben sollen, überführen auch hochrangige US-Militärs der Lüge. Immer wieder waren Anträge der Agentur Reuters, das Bildmaterial vom Tod seiner Mitarbeiter sichten zu dürfen, in den vergangenen Jahren abgelehnt worden. Bezüglich des "Vorfalls" am 12. Juli 2007 waren Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass den Soldaten kein Vorwurf zu machen sei, weil die Aufständischen oft ihre Angriffe zu Trainings- und Propagandazwecken filmten. Die Reuters-Mitarbeiter hätten sich "unter die Aufständischen gemischt", hieß es darin. Dass die meisten Getöteten offensichtlich unbewaffnet waren, blieb unerwähnt.

Wer das Video schließlich an die Öffentlichkeit brachte, bleibt im Dunkeln - dass es jedoch bei der Internetplattform WikiLeaks landete, ist kein Zufall: Enthüllen und aufklären – das ist das Ziel der Erfinder von WikiLeaks. Auf ihrer Homepage kann jeder anonym Dokumente veröffentlichen, wenn sie im öffentlichen Interesse stehen und nicht gegen die vorgegebenen Regeln verstoßen. Auf WikiLeaks wurden auch große Teile der Kundus-Akte öffentlich gemacht: ein achtseitiger Untersuchungsbericht sowie zahlreiche Unterlagen mit Daten zu jenem Vorfall, der die deutsche Politik noch immer in Atem hält – und aktuell eben das Video, das offenbar zeigt, wie US-Soldaten in Bagdad unbewaffnete Zivilisten erschießen. Zuletzt hatte die Website im November Schlagzeilen gemacht, weil dort eine halbe Million Textnachrichten vom 11. September 2001 veröffentlicht wurden.

Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Thomas Latschan