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Viel Augenwischerei

Klaus Dahmann26. Mai 2004

Die heiße Phase im deutschen Europa-Wahlkampf ist eröffnet. Dabei wird mit Themen Stimmung gemacht, die gar nicht im EU-Parlament entschieden werden. Klaus Dahmann kommentiert.

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Zugegeben: es ist nicht einfach, einen Wahlkampf für Parlamentarier zu konzipieren, von denen die überwiegende Zahl der Wähler kaum den Namen kennt, geschweige denn wahrnimmt, dass sie etwas bewegen. Sicher, Interview-freudige Politiker wie der Christdemokrat Elmar Brok oder der Sozialdemokrat Klaus Hänsch tauchen ab und zu in den deutschen Medien auf. Andere gelangen ganz unverhofft zu Berühmtheit wie Martin Schulz, den im vergangenen Jahr Silvio Berlusconi als potenziellen Darsteller eines KZ-Aufsehers in einem Nazi-Film beschimpfte. Nun ist er Spitzenmann der SPD für das EU-Parlament. Nicht weil er im Wortgefecht mit dem italienischen Ministerpräsidenten seine Politiker-Qualitäten bewiesen hat, sondern weil sich der eine oder andere Wähler noch an diese Episode erinnert. Aber wer weiß denn schon, was EU-Abgeordnete sonst noch tun außer Interviews zu geben oder bei Berlusconis Verbal-Attacken eine gute Figur zu machen?

Dass der Einfluss des Europa-Parlaments auf die Politik der Union nach wie vor gering ist, wird in diesen Wochen lieber verschwiegen. Schließlich wollen ja doch alle Parteien, dass möglichst viele Wähler zu den Urnen gehen. Und da machen sie eben aus der Not eine Tugend: indem sie Themen in den Vordergrund rücken, die so europäisch klingen, dass es gar nicht auffällt, wie wenig Einfluss die zu wählenden Abgeordneten darauf haben.

Thema Nummer eins: EU-Beitritt der Türkei. CDU und CSU haben in ihr Programm für die Europa-Wahl geschrieben, dass sie gegen eine Vollmitgliedschaft des Landes am Bosporus sind. Dass sie aber selbst in der eigenen europäischen EVP-Fraktion gegen eine Türkei-freundliche Mehrheit ankämpfen - davon ist kein Wort zu hören. Wenn kein Wunder geschieht, bleiben die Nein-Sager auch nach dieser Europa-Wahl in der Minderheit. Und: ob Beitrittsverhandlungen mit Ankara aufgenommen werden, darüber entscheiden ohnehin zunächst die Kommission und vor allem der Rat der Staats- und Regierungschefs. Mit anderen Worten: ein wirksames Veto gegen einen EU-Beitritt einlegen können CDU und CSU nur, wenn sie in Deutschland an die Regierung kommen.

Zweites Thema: Volksabstimmung über EU-Verfassung. Die Unions-Parteien sowie FDP und die PDS haben sich dafür ausgesprochen, bei den Grünen sagt die Basis Ja, die Führung Nein. Keiner jedoch will offen zugeben, was Sache ist: Ob in Deutschland ein Referendum abgehalten wird oder nicht, ist Sache der Regierung beziehungsweise des Bundestags. Das Europa-Parlament hat darauf überhaupt keinen Einfluss.

Das Thema, bei dem die EU-Abgeordneten Jahr für Jahr ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen und die Politik der Union entscheidend beeinflussen können, ist der Haushalt. Hier könnte das Parlament beispielsweise darauf drängen, dass Brüssel seine Ausgaben drosselt. Dieses wichtige Thema tritt jedoch völlig in den Hintergrund - so es denn überhaupt in den Programmen der Parteien vorkommt.

Stattdessen tragen die Europa-Wahl-Kampagnen - wie bei den vorangegangenen Malen - klar innenpolitische Züge. Einige Politiker wie CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sprechen es offen aus: Er nannte die Europa-Wahl eine "Abrechnung mit Rot-Grün in Berlin". Die Klage, die Europa-Wahl sei eben doch nicht viel mehr als ein Stimmungstest für nationale Regierungen, ist auch dieses Mal berechtigt. Und daran wird sich so schnell nichts ändern.