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Viel mehr als nur Dreck

Sarah Mersch20. Februar 2008

Er legt sich grau auf die Möbel, tanzt in den ersten Frühlingssonnenstrahlen, fegt als Sandsturm in Unmengen durch die Wüste. Ein Film über einen Zehntelmillimeter Materie.

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Kehrschaufel und Besen, Quelle: Realfiction
Auch damit kommt man dem Staub nur kurz in die QuereBild: presse/realfictionfilm

Ein kleiner Windhauch, eine kleine Bewegung genügt, damit er aufwirbelt, sich in Bewegung setzt, unkontrolliert um sich greift, sich so in Ritzen und Ecken festsetzt, dass man ihn nicht mehr rausbekommt. Er treibt Menschen zur Verzweiflung. Er ist nicht greifbar – und hält doch Putzkolonnen in aller Welt in Bewegung, beschäftigt eine ganze Industrie, die sich darauf spezialisiert hat, ihn zum Verschwinden zu bringen. Ausgerechnet mit jenen flüchtigen Partikeln, die den Menschen manchmal so lästig sind, setzt sich der der deutsche Dokumentarfilmer Hartmut Bitomsky in seinem jüngsten Film im Detail auseinander – dem Staub.

Beim Dreh: Kamera vor Staubwolke, Quelle: Realfiction
Beim Dreh mussten auch die Kameras vor dem Objekt des Filmes geschützt werdenBild: www.realfictionfilme.de / pressefoto

"Staub“ ist ein verblüffender Film, ein Werk über den vielleicht kleinsten Gegenstand, dem je ein Film gewidmet wurde, ein Film über einen Zehntelmillimeter Materie. Der Regisseur gewinnt dem schmuddeligen Thema erstaunlich ästhetische Perspektiven ab. Er interviewt Menschen, die in ihrem Alltag mit Staub zu tun haben - Hausfrauen und Künstler ebenso wie Wissenschaftler. Er mischt historisches Filmmaterial mit Bildern von Naturkatastrophen oder von der Galaxie, deren Sterne nicht nur aus Gas, sondern auch aus Staub bestehen. Alltagsbeobachtungen und philosophische Betrachtungen gießt er in eine farbige visuelle Form.

Die Wurzel der Dinge

Hartmut Bitomsky, Quelle: AP
Auf der Suche nach einem Zehntelmillimeter: Hartmut BitomskyBild: AP

Es ist diese mühelose Verquickung von Alltag und philosophischer Reflexion, die die Arbeit von Hartmut Bitomsky auszeichnet, einen der großen deutschen Dokumentarfilmer. Der Regisseur ist ein Chronist der Gegenwart und ihrer Eigenheiten. 1942 in Bremen geboren dreht er seit mehr als 40 Jahren Filme. Er ist nicht nur Regisseur, sondern auch Produzent, Schriftsteller, Essayist, und Filmdozent an der Berliner Filmhochschule, der dffb.

Das Essayistische ist prägendes Kennzeichen seiner Filme. In seinen vielschichtigen Arbeiten begibt er sich auf Spurensuche, filmt nicht nur einen Gegenstand, sondern sucht darin auch die Befindlichkeit eines Landes, einer Schicht, einer Generation. "Aus einer Idee für einen Dokumentarfilm wird nie ein Drehbuch: das gehört zur Definition […] Das ist das Vitale am Dokumentarfilm, es geht an die Wurzel des Filmemachens“, sagte er einmal in einem Interview über seinen Film "B 52“ (2001), eine zweistündige Reflexion über den legendären amerikanischen Kampfbomber. So wie der Dokumentarfilm an die Wurzel des Filmemachens geht, so geht auch Bitomsky den Dingen auf den Grund. Er sucht das Große im Kleinen, und was gäbe es kleineres als Staub.

Eine virtusose Staubsuche

Plastiktonnen mit farbigem Pulver, Quelle: Realfiction
Auch Staub ist nicht immer grauBild: presse/realfictionfilm

Staub ist allgegenwärtig, "wie man es anstellt, es bleibt ein Rest vom Rest". So muss ein Film über den Staub von der ganzen Welt erzählen: vom Mikro- und vom Makrokosmos, von Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Alltag. Mann kann diesen flüchtigen Partikeln nur mit einer assoziativen, freien Form gerecht werden. Hartmut Bitomsky gelingt dies virtuos, spielerisch und leicht. Wer seiner Staubsuche zusieht, kommt ins Staunen über die Komplexität und Schönheit der Welt.