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Politik

Viele Franzosen bleiben Parlamentswahl fern

18. Juni 2017

Nach einem Tief in der ersten Runde der französischen Parlamentswahl ist die Beteiligung im zweiten Wahlgang nochmals abgesackt. Frankreichs Präsident Macron steht vor einem Triumph mit bitterem Beigeschmack.

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Paris Elysee Palast Parade Emmanuel Macron
Bild: picture-alliance/abaca/H. Szwarc

Die entscheidende zweite Runde der Parlamentswahl dürfte den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron weiter stärken: Im ersten Wahlgang vor einer Woche hatte seine Partei "La République en Marche" 32 Prozent der Stimmen erhalten. Auf Platz zwei lagen die konservativen Republikaner und ihre Verbündeten mit rund 21,6 Prozent. Die Sozialisten von Macrons Vorgänger François Hollande waren schon im ersten Wahlgang dramatisch abgestürzt, Umfrageinstitute sehen die moderate Linke und die Grünen zusammen bei höchstens 35 Sitzen.

Laut Umfragen kann Macrons Bewegung nun sogar mehr als 80 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung bekommen. Keine Präsidentenpartei war in den vergangenen Jahrzehnten so mächtig, wie es Macrons Bewegung werden könnte.

Wahlbeteiligung auf neuem Tiefstand

Diese Übermacht wirkt sich offensichtlich auch auf die Wahlbeteiligung aus, für viele Franzosen scheint die Entscheidung längst gefallen. Tatsache ist jedenfalls: Bei der zweiten Runde zeichnet sich eine historisch niedrige Beteiligung ab. Bis zum späten Nachmittag gaben nur rund 35 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, wie das Innenministerium in Paris mitteilte. Das waren gut fünf Prozentpunkte weniger als in der ersten Runde vor einer Woche zur gleichen Uhrzeit und sogar elf Prozentpunkte weniger als bei der zweiten Runde der Parlamentswahl vor fünf Jahren.

Bestätigen sich die Umfragen und erreicht Macron mit seiner Bewegung eine haushohe Mehrheit in der Pariser Nationalversammlung, so verfügt der französische Präsident über ausreichend Rückhalt
für sein Reformprogramm. Zu diesem Programm gehört auch eine Lockerung des Arbeitsrechts, die noch diesen Monat auf den Weg gebracht werden soll. Gespräche mit den in Frankreich traditionell starken Gewerkschaften wurden bereits vereinbart.

Blick auf die Parlamentsbestuhlung in der Nationalversammlung (Foto: Getty Images)
Um diese Sitze geht es: die Nationalversammlung in Paris (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/P. Kovarik

Bei der Parlamentswahl wird in 577 Wahlkreisen jeweils ein Abgeordneter gewählt. Es gilt ein reines Mehrheitswahlrecht - das macht es für kleine Parteien schwer, Mandate zu gewinnen. Nur vier Sitze wurden bereits in der ersten Runde vor einer Woche vergeben, im Rest der Wahlkreise sind Stichwahlen nötig. 

Mehrheitswahlrecht begünstigt große Parteien

Kandidaten kleiner Parteien haben in diesem System eigentlich nur eine Chance, wenn sie Bündnisse mit anderen Gruppierungen eingehen oder in ihrem Wahlkreis außergewöhnlich bekannt und beliebt sind. Allgemein erleichtert dieses System stabile Regierungsmehrheiten ohne mühsame Koalitionsbildung. Ein Argument, das gerne von französischen Politikern angeführt wird. Genauso gilt das Mehrheitswahlrecht als wirksamer Damm gegen den rechtsextremen Front National, was den anderen Parteien sehr willkommen ist.

 Das Wahlrecht wird aber auch immer wieder als nicht repräsentativ und damit undemokratisch kritisiert. "Die Realität wird komplett verzerrt", kritisiert der Verfassungsrechtler Dominique Rousseau. Es wirke so, als würden fast alle Franzosen für das Macron-Lager stimmen. Beim Verhältniswahlrecht dagegen werden die Stimmen für eine Partei proportional in Parlamentsmandate umgerechnet. Damit wird der Wille des Wählers genauer abgebildet. 

Wahlrechtsreformen wurden nie durchgeführt

Kleinere Parteien fordern schon seit langem eine Reform. In der Vergangenheit haben sowohl der konservative Staatschef Nicolas Sarkozy als auch sein sozialistischer Nachfolger François Hollande versprochen, zumindest einen Teil der Abgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht wählen zu lassen - ohne dies umzusetzen. Beiden Parteien droht dieses Mal ein Absturz. Der sozialistischen Partei von Ex-Staatschef François Hollande und ihren verbündeten Linksparteien werden 20 bis 30 Sitze vorhergesagt. Das ist zehnmal weniger als bei der Wahl 2012.

Macron hatte versprochen, die Nationalversammlung um rund ein Drittel verkleinern zu wollen. Und künftig bei der Parlamentswahl eine "Dosis" des Verhältniswahlrechts einzuführen, ohne konkreter zu werden. Nun sieht alles danach aus, dass er selbst von dem bestehenden System profitieren kann. Wie Politikwissenschaftler Nicholas Tenzer sagt, ist Macron von einer absoluten Mehrheit im Parlament abhängig. "Wenn er mit unbeliebten Reformen vorankommen will, zum Beispiel bei der zentralen Reform des Arbeitsmarkts, dann ist es sehr wichtig, dass er die volle Unterstützung des Hauses hat." Die scheint ihm sicher.

Neuer Absolutismus?

Die politischen Gegner sehen ihre Felle davonschwimmen und warnen bereits vor einem übermächtigen Macron. "Eine erdrückende Mehrheit könnte die Debatte erdrücken", mahnt Senator François Baroin, der die konservativen Republikaner wenig erfolgreich in den Wahlkampf führte. Provokativ wie so oft sprach Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon bereits von einer "präsidentiellen Monarchie". Mélenchon unkte: "Wir werden uns mit weniger Oppositionsvertretern wiederfinden als in Russland."

ust/haz/sti (afp, dpa, DW, bpb.de, frankreich.dgap.org)