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Kay-Alexander Scholz, Berlin17. November 2015

Mitten in der Flüchtlingskrise tagte im Kanzleramt ein neuer Integrationsgipfel. Vom schon lange vorgesehenen Thema wurde nicht abgewichen: Wie kann das Gesundheits- und Pflegesystem fit für Migranten gemacht werden?

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Symbolbild Migranten und Pflege: Altenheim Haus Duisburg (Archiv 2001)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutschland sei schon ein Einwanderungsland, müsse sich jetzt aber auch zu einer Einwanderungsgesellschaft entwickeln, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, nach dem 8. Integrationsgipfel im Kanzleramt. Ein Stück Normalität müsse beim Thema Gesundheit und Pflege für Migranten erreicht werden. Letztlich würde der IS damit werben, dass der Westen nicht genug für die Migranten tun würde, so Özoguz.

Die Ausgangslage: In Deutschland leben derzeit 16,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund; davon sind 1,6 Millionen 65 Jahre und älter. Das Thema Pflege von Migranten ist schon jetzt relevant und wird weiter zunehmen. Schätzungen zufolge wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund nahezu verdoppeln - von 258.000 im Jahr 2013 auf 481.000 im Jahr 2030.

Kurz nach der Jahrtausendwende hatten erste Verbände und Institutionen begonnen, sich des Themas anzunehmen und ein "Memorandum für eine kultursensible Altenpflege" erarbeitet. Dennoch seien bisher "nur punktuell konkrete Maßnahmen ergriffen worden, um den Pflegebereich interkulturell zu öffnen, steht in einer Expertise des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, die im Auftrag der Bundesregierung im Vorfeld des Gipfels erstellt wurde.

Demenzkranke verlieren ihre Deutschkenntnisse

Politisch hat das Thema in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Seit dieser Legislaturperiode gibt es einen Bevollmächtigen für Pflege in der Bundesregierung. Im Gesundheitsministerium wurde ein Referat speziell für Bedürfnisse von Migranten eingerichtet.

Leider gebe es zu dem Thema einfach zu wenige Studien und Datenmaterial, so Özoguz. Bisher liegt einzig eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2011 vor. Ansonsten gibt es nur auf spezielle Migranten-Gruppen begrenzte qualitative Studien.

Ein wichtiger Punkt sei auch die Frage, wie man den verschiedenen Generationen am besten helfen könnte, sagte Özoguz und nannte ein Beispiel: Bei Demenzfällen von Migranten in der ersten Generation spiele eine muttersprachliche Pflege beispielsweise eine größere Rolle als bei folgenden Generationen. Die Patienten würden als Folge ihrer Demenz die erlernten Deutschkenntnisse verlieren.

Ein weiterer Punkt: Migranten würden im Gesundheitswesen immer noch weniger Leistungen in Anspruch nehmen als ihnen zustünden, so Özoguz.

Fahrplan: Sensibilität und Teilhabe

Wie nun soll das Thema vorangebracht werden? Die Größe der Migrantengruppe dürfe keine Rolle spielen, so Özoguz. Niemand könne passgenau auf die Bedürfnisse von Menschen aus 130 Herkunftsländern eingehen. Erreichbar aber sei eine "interkulturelle Sensibilität und Öffnung". Auch die Kanzlerin Angela Merkel sprach von "inklusivem Herangehen". Gesundheitsminister Hermann Gröhe betonte ebenfalls diesen Punkt.

Doch eine verbindliche Umsetzung ist nicht so einfach, da der Bund wenig eigene Gestaltungsmöglichkeit hat. Denn die Bundesländer sind für die Lehrpläne des Fachpersonals in Pflegeheimen zuständig. Was sich der Bundesgesundheitsminister aber vorstellen kann: Dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund Berufe im Gesundheits- und Pflegebereich wählen. Der erhöhte Bedarf an Migranten in spezifischen Diensten, sei auch eine Chance für Migranten selbst, in diesen Berufen Fuß zu fassen.

Nach dem Gipfel: Bundeskanzlerin Angela Merkel (rechts), die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (Foto: DPA)
Nach dem Gipfel: Bundeskanzlerin Angela Merkel (rechts), die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz und Bundesgesundheitsminister Hermann GröheBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Ein wichtiger Punkt der Diskussionen der 100 Teilnehmer des Gipfels war die Frage der Teilhabe. Der Zugang zu Gesundheits- und Pflegeleistungen gelte laut Grundgesetz auch für Zuwanderer, betonte Merkel. Doch gebe es dahingehend noch viel zu tun. Immerhin aber sei das Thema mittlerweile aus der Verschwiegenheit herausgeholt. Experten sprechen von Barrieren und Scham bei der Inanspruchnahme von Leistungen. Diese Hemmungen gelte es nun zu überwinden.

Die Bundesregierung will das mit einer Informationskampagne angehen. Der Gesundheitsminister kündigte dazu ein Internetportal zu Gesundheit und Migration an. Wichtig sei die Wissensvermittlung zu Prävention, Ernährung und Sport, betonte Kanzlerin Merkel. Ähnlich steht es in einer gemeinsamen Stellungnahme von 200 Migranten-Organisationen für den Integrationsgipfel. Es bestehe "besonderer Handlungsdruck" beim Impfstatus und bei erhöhter Häufigkeit unter anderem für Suchterkrankungen, Karies und psychischen Belastungen.

Basis für neue Flüchtlinge schaffen

Über das aktuelle Flüchtlingsthema wurde beim Gipfel nach Angaben der Teilnehmer nur am Rande gesprochen. Gesundheitsminister Gröhe sagte dazu, eine gute gesundheitliche Versorgung sei ein wichtiger Faktor dafür, dass sich Migranten "zu Hause fühlen" könnten. Und ein Gesundheitswesen, das auf Einwanderer eingestellt sei, werde auch die Versorgung der Flüchtlinge besser leisten können.

Für einen Schmunzler - auch bei der Kanzlerin - sorgte bei der Pressekonferenz der Vertreter der Migranten, Ramazan Salman vom Verein "Ethno-Medizinisches Zentrum" aus Hannover. Er stelle fest, dass es bei der Betrachtung des Themas bereits einen gemeinsamen Zugang gebe und kein Gegeneinander - nun sei es wichtig, "deutsche Ordnung" zu schaffen.