1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Viele Köche rühren im europäischen Brei

18. Februar 2004

Dieses Jahr wird die EU-Kommission neu besetzt. Der Machtpoker um die einflussreichen Ämter hat schon begonnen - und den Politikern scheint es dabei weniger um politische Inhalte zu gehen als um gut dotierte Posten.

https://p.dw.com/p/4grZ

Die Europäische Kommission ist zwar noch bis zum November im Amt, aber bereits jetzt werden heftig Stühle gerückt. Die Behördenspitze zeigt Auflösungserscheinungen. Die erste EU-Kommissarin, Anna Diamantopoulou, hat sich bereits in den unbezahlten Wahlkampf-Urlaub nach Griechenland verabschiedet. Der Präsident der Kommission Romano Prodi tritt immer häufiger in seiner Heimat auf, weil er nach vier Jahren in Brüssel seinen Erzfeind, den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi herausfordern will. (Falls dessen Koalition nicht vorher den Löffel abgibt, aber das ist eine andere Geschichte). Die Kultur-Kommissarin Viviane Reding könnte auch bald den Abgang machen, um im heimischen Luxemburg einen netten Posten zu bekleiden.

Von hinten aufgezäumt

Eine neue Kommission muss also her und irgendwie müssen ja die zehn neuen Kommissare aus den Beitrittsländer mit untergebracht werden. Dabei zäumen die europäischen Regierungen das Pferd, besser gesagt den europäischen Stier, konsequent von hinten auf. Zunächst steht einmal fest, wie viele EU-Kommissare es ab 1. November geben wird: 25, einen pro Mitgliedsland. Soweit so gut. Unklar ist aber, welche Ressorts es geben soll. Der industriefreundliche deutsche Kanzler Gerhard Schröder und seine Busenfreunde aus dem Euro-Triumvirat, Jacques Chirac und Tony Blair, wollen einen Super-Kommissar für Wirtschaft einsetzen. Der würde die bisherigen Kommissariate für Binnenmarkt, Industriepolitik, Wettbewerbsfähigkeit und vielleicht noch ein, zwei weitere aufsaugen. Schröder hat auch schon einen Kandidaten: Seinen engen Vertrauten Günter Verheugen, der bisher als Erweiterungskommissar die Beitrittsländer aufgepeppelt hat. (Falls Verheugen nicht vorher ins Bundeskabinett muss, aber das ist eine andere Geschichte.)

Leckere Sahneschnitten

Gerade die zehn neuen EU-Kommissare wehren sich dagegen, dass die Sahneschnitten an die Alt-Länder vergeben werden, bevor sie überhaupt ihre Praktikantenzeit von Mai bis November überstanden haben. Dabei ist eigentlich jedem klar, dass eine weitere Zersplitterung der Ressorts, um von jetzt 20 irgendwie auf 25 zu kommen, die Effektivität der europäischen Pseudo-Regierung nicht gerade erhöhen wird. Ein EU-Diplomat meinte in Brüssel, man müsse schon sehr viel Fantasie haben, um sich einfallen zu lassen, was die auf dem Papier gleichberechtigten Kommissarinnen und Kommissare denn tun könnten. Die großen Drei wollen am liebsten Kommissarteams bilden, wo drei vier neue unter der Führung eines alten ein Ressort beackern. Das lehnen die Kleinen selbstredend ab.

US-U-Boot

So haben die zehn Neuen - meist ehemalige oder amtierende Minister - nicht gewettet. Sie wollen mitmachen und weisen dezent auf ihre Vorzüge hin. Sie sind im Durchschnitt jünger als die bisherigen Kommissare, sprachgewandter und fast alle in den USA ausgebildet. Das wiederum schreckt die Franzosen, die in ihnen U-Boote aus Washington vermuten. Die EU wird noch anglophiler als sie das jetzt schon ist. Das Französische der alten Gründer-EU verschwindet mehr und mehr.

Streit

Normalerweise würde ja zunächst ein Regierungschef ernannt, der sich dann seine Minister aussucht. Bei der EU-Kommission ist das entschieden anders. Über Ressorts und Köpfe streiten die Mitgliedsstaaten bereits jetzt. Der Chef, der den ganzen Laden führen soll, wird erst Ende Juni auserkoren, nach den Europawahlen. Denn die stärkste Fraktion möchte, dass der Präsident der Brüssler Behörde aus ihrer politischen "Familie" stammt. Da dies voraussichtlich wieder die Konservativen sein werden, werden drei schwarze Kandidaten gehandelt: Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der ehemalige belgische Ministerpräsident Jean-Luc Dehaene und der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker. Einer der drei Herren dürfte dann im November das europäische Ruder übernehmen, mit einer wild zusammen gewürfelten Mannschaft in umkämpften Zuständigkeitsbereichen. Viel Spaß!

Die Zukunft

Hatte ich schon erwähnt, dass die Kommission womöglich mit der europäischen Verfassung von 2008 oder 2012 an auf 15 Mitglieder verkleinert werden soll. Das wird angesichts der nationalen Eifersüchteleien erst richtig spannend. (Falls die Verfassung jemals in Kraft tritt, aber das ist eine andere Geschichte...)