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"Viele merkten zu spät, wie ernst die Lage wirklich war"

Das Gespräch führte Sebastian Ertinger6. April 2004

Der Journalist Emmanuel Rushingabigwi hielt sich während des Völkermords in Ruanda auf. Im Gespräch mit DW-WORLD berichtet er von den schrecklichen Ereignissen vor zehn Jahren.

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Kinder Ruandas: Erben des Völkerhasses?Bild: dpa

Als Sohn eines ruandischen Flüchtlings wurde Rushingabigwi in Burundi geboren. Er wuchs dort auf und studierte Jura. In Belgien wandte er sich dem Journalismus zu. 1991 schließlich ging er nach Ruanda und arbeitete für einen Radiosender der Tutsi-Rebellen.

DW-WORLD: Gab es vor den Ereignissen im April 1994 irgendwelche Anzeichen, dass ein Massaker bevorsteht?

Emmanuel Rushingabigwi: Nach dem Abschluss des Friedensabkommens zwischen den Tutsi-Rebellen und der Regierung im August 1993 waren wir alle zunächst erleichtert. Aber ich wusste, dass der Krieg nicht so einfach zu beenden war. Es war zu schön, um wahr zu sein, dass die andere Seite die Waffen niederlegen wollte.

Meine Aufgabe war es unter anderem, alle Radioprogramme in Ruanda zu verfolgen. Es gab wirklich sehr gute Sendungen von talentierten Journalisten. Aber auf einmal verbreiteten die Hutu Hassparolen und riefen zum Mord an Tutsis auf. Meine Kollegen und ich dachten zunächst, dass es ein Witz war, in diesen wirklich wunderbaren Sendungen auf einmal Aufrufe zum Völkermord zu verbreiten. Schließlich dämmerte uns jedoch, dass dies ein Anzeichen für die bevorstehenden Ereignisse war.

Was ging Ihnen als Erstes durch den Kopf, als Sie vom Absturz des Flugzeugs von Präsident Juvenal Habyarimana und den daraufhin beginnenden Morden an Tutsi hörten?

Zunächst dachte ich, dass es nur kleinere Unruhen geben würde, bei denen leider auch einige Menschen sterben würden. Aber wir hatten ja die UN-Friedenstruppen im Land und die ganzen Botschaften in Kigali. Die Weltöffentlichkeit schaute also zu. Daher erwartete ich nicht, dass dies der Beginn eines Völkermords sein würde. Insofern bin ich im Nachhinein auch enttäuscht von der internationalen Gemeinschaft, dass sie nicht eingriff.

Und was empfanden Sie, als das ganze Ausmaß der Ereignisse erkenntlich wurde?

Zunächst konnte ich es nicht glauben. Es war wie ein böser Traum, bei dem einem nicht klar wird, was wirklich vor sich geht. Ein Freund von mir hielt sich zu dieser Zeit in Kigali auf. Wir drängten ihn, mit seiner Familie die Stadt zu verlassen. Aber er wollte nicht. Wie viele andere merkte er erst zu spät, wie ernst die Lage wirklich war.

Wie war es für Sie, dann in Ruanda zu leben?

Das war zunächst eine große Herausforderung. Vor allem mit meinen Freunden und Weggefährten hatte ich Schwierigkeiten. Sie mussten erst erkennen, dass auch nach dem Frieden die Probleme zwischen den Volksgruppen weiter bestehen bleiben. Außerdem mussten sie lernen, dass gute Soldaten nicht unbedingt auch ein Land gut regieren können. Auch der Rebellenführer und spätere Präsident Paul Kagame musste sich der Erkenntnis stellen, dass viele seiner Kampfgefährten nicht zu demokratischen Politikern taugen.

Sehen Sie eine Chance für eine Versöhnung der Tutsi und der Hutu?

Auf einer sehr allgemeinen Ebene gibt es die bereits. So wird beispielsweise nicht mehr die Volkszugehörigkeit in den Pässen notiert. Auch an den Schulen und Universitäten gibt es keine Begrenzungen durch ethnische Quoten mehr. Aber es ist noch ein langer Weg bis zur Aussöhnung.

Vor allem müssen wir unser eigenes Verhalten ändern und darauf achten, was wir sagen, besonders gegenüber unseren Kindern. Manchmal bricht in Gesprächen noch die Bitterkeit über die Geschehnisse heraus. Damit wird unseren Kindern der Hass wieder eingepflanzt. Wenn der gute Wille da ist, wird es vielleicht noch ein oder zwei Generationen dauern, bis eine echte Aussöhnung stattgefunden hat.