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Viele offene Fragen vor Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags mit Bulgarien

21. April 2005

Am Montag (25.4.) werden Bulgarien und Rumänien die EU-Beitrittsverträge in Luxemburg unterzeichnen. Bulgarien muss jedoch noch einige Hürden nehmen, damit es 2007 tatsächlich in die Europäische Union aufgenommen wird.

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Präsident Parvanov hat bereits weitere Reformen angekündigtBild: AP

Die Unterzeichnung des EU-Beitrittvertrages ist das Top-Thema der vergangenen Tage in Bulgarien. Die kritischen Stimmen allerdings, die seit einiger Zeit aus der EU-Kommission und dem EU-Parlament zu hören sind, bereiten der bulgarischen Regierung einiges Kopfzerbrechen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um zwei Punkte: die Justizreform und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die schon seit langem geplante Justizreform sieht vor, die nicht EU-konforme Unantastbarkeit der hohen Magistrate teilweise einzuschränken und für mehr Demokratie und Transparenz bei ihrer Wahl zu sorgen. Auch die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Ermittlungsbehörden sind neu zu definieren.

Probleme bei der Verbrechensbekämpfung

Im engen Zusammenhang damit steht der von der EU verlangte Fortschritt im Kampf gegen das Verbrechen. Trotz einiger Erfolge in letzter Zeit ist Bulgarien immer noch ein Problemland, was Geldfälschung, Produktpiraterie, Drogen- und Menschenhandel anbetrifft. Der andauernde Bandenkrieg in den Straßen der Hauptstadt Sofia und in anderen Städten Bulgariens, der im letzten Jahr mehrere Todesopfer gefordert hat, sorgt für Angst in der Bevölkerung und für Misstrauen in Brüssel.

Beitritt könnte um ein Jahr verschoben werden

Bulgariens Präsident Georgi Parvanov und verschiedene Regierungs- und Parlamentsvertreter haben mehrfach betont, dass die neue Prozessordnung, die die Substanz der Justizreform ausmacht, bis Ende des Jahres verabschiedet werde. Denn sonst kann die EU bei dem Gipfeltreffen im Herbst die so genannte Schutzklausel in Kraft setzen und damit den Beitritt Bulgariens um ein Jahr verschieben. Der bulgarische Außenminister Solomon Passy versicherte zwar neulich, dass die Schutzklausel eine durchaus positive Rolle als Reformbeschleuniger für Bulgarien gespielt habe. Über die Gefahr allerdings, bis 2008 vor der Tür warten zu müssen, will in Sofia keiner reden.

Auch Timo Suma, Leiter der Generaldirektion Erweiterung in Brüssel ist eher optimistisch und sagt, alles laufe nach Plan. "Es war sehr gut", sagt Suma, "dass das EU-Parlament sich für Bulgarien so viel Zeit genommen hat. Über Bulgarien wurde in mehreren Ausschüssen diskutiert, es gab Positives und Negatives, die Diskussion war teilweise kritisch, aber fair, glaube ich. Die Abstimmung ist vorbei und die Mehrheit ist zweifellos positiv eingestellt. Dieses Ergebnis einer professionellen Diskussion ist gut für Bulgarien."

Begrenzte Wettbewerbsfähigkeit in der Wirtschaft

Neben der Justizreform und der Kriminalitätsbekämpfung gibt es jedoch eine Reihe weiterer offener Fragen, die Bulgariens Beitritt sowohl für die Bulgaren selbst als auch für die EU-Mitglieder problematisch machen. An erster Stelle steht die noch sehr begrenzte Wettbewerbsfähigkeit der bulgarischen Wirtschaft. Die Produktivität und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes liegen bei etwa 30 Prozent des EU-Durchschnitts, und bei einem Durchschnittslohn von etwa 150 Euro im Monat ist die Kaufkraft der Bulgaren immer noch sehr bescheiden.

Streit in der Energiepolitik

Weitere Problempunkte sind die Situation der Roma-Minderheit und die mit der EU bereits ausgehandelte Stilllegung von vier der insgesamt sechs Reaktoren im AKW Kosloduj. Da die Mehrheit der Bulgaren vor dem Hintergrund der wachsenden Strompreise gegen diese Maßnahme ist, hört man bereits Stimmen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der EU zum längst abgeschlossenen Kapitel Energiepolitik. Dies hat sogar ein hochrangiger Vertreter der oppositionellen Sozialisten im Hinblick auf die Parlamentswahl im Juni vorgeschlagen. Die ex-kommunistische Bulgarische Sozialistische Partei, die zurzeit in den Umfragen führt, erhofft sich nämlich dadurch eine höhere Unterstützung und ein Mandat zum Alleinregieren.

Parlamentswahlen im Juni

Der Ausgang der Parlamentswahl kann auch andere Auswirkungen auf den fristgerechten EU-Beitritt Bulgariens haben. Obwohl die relevanten politischen Parteien im Lande eindeutig EU-orientiert sind, kann das Mehrheitsverhältnis im zukünftigen Parlament die Verabschiedung der Justizreform und die Ratifizierung des EU-Vertrags verlangsamen. Es gibt auch Stimmen für ein EU-Referendum, obwohl über 70 Prozent der Bulgaren Meinungsumfragen zufolge für den Beitritt sind.

Sorge vor einem Kurswechsel in Deutschland

Vor diesem Hintergrund reagierte die öffentliche Meinung in Bulgarien neulich sehr gereizt auf einen kritischen Artikel im deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Verschwörungstheorien über einen angeblichen Kurswechsel der deutschen Regierung und über angebliche "Auftragspublikationen in deutschen Medien" schossen aus dem Boden. Gernot Erler, SPD-Fraktionsvize und Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums, schätzt die Lage so ein: "Wir haben jetzt kritische Berichte zu der Situation in Rumänien, aber auch in Bulgarien in der deutschen Öffentlichkeit. Aber ich denke, die EU wird auf ihrem Kurs bleiben und Deutschland wird das unterstützen. Wir haben immer die Erweiterung auf Rumänien und Bulgarien unterstützt, und ich bin sicher, am Ende wird auch die Opposition dabei sein."

Die bulgarische Regierung unterstützt einen zeitgleichen Beitritt Bulgariens und Rumäniens Anfang 2007, obwohl Bukarest in letzter Zeit deutlich mehr Kritik aus Brüssel einstecken musste. Die regionale Zusammenarbeit als die beste Grundlage für eine EU-Mitgliedschaft - das ist die Idee, die dahinter steckt und die von den Europäern ausdrücklich begrüßt wird. Sofia versucht sogar, einen weiteren Schritt in diese Richtung zu machen und den Staaten aus dem so genannten Westlichen Balkan bei der EU-Annäherung unter die Arme zu greifen.

Alexander Andreev
DW-RADIO/Bulgarisch, 20.4.2005, Fokus Ost-Südost