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Vier minus drei

4. Februar 2012

Von Pfarrerin Petra Schulze, Düsseldorf

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Die evangelische Pfarrerin Petra Schulze
Bild: Petra Schulze

Ein sonniger Tag im März 2008. Barbara Pachl-Eberhart und ihr Mann Heli sitzen mit ihren Kindern am Frühstückstisch. Thimo ist fast sieben Jahre alt und Valentina, genannt Fini, fast zwei. Eine ganz gewöhnliche Familie. Und eine ganz ungewöhnliche: denn Barbara und Heli sind von Beruf Clowns. Ein gelber Clownbus gehört zu ihrem Leben. Mit ihm sind sie gern unterwegs. Viele winken der kleinen Familie in dem lustigen Gefährt lachend zu. Doch heute wird Heli allein mit den Kindern aufbrechen. Barbara muss nachmittags arbeiten. Im Krankenhaus. Auf der Kinderstation. Als Rote Nasen Clowndoctor mit pinkfarbener Federboa. Heli will mit Thimo heute einen Vater-Sohn-Tag verbringen und vorher noch Fini bei der Tagesmutter absetzen. Der Abschied ist harmonisch. Barbara fährt einkaufen - fürs Osterfest. Sie packt gerade die Einkäufe in den Kofferraum, als das Handy klingelt. Die Tagesmutter ruft an. Fini ist noch nicht eingetroffen. Barbara wird ein bisschen sauer. „Typisch. Heli hat bestimmt die Zeit übersehen…“ (S. 32) Aber die Tagesmutter sagt mit zitternder Stimme: „Eine Freundin hat erzählt, in Trakern gab es einen Unfall mit einem Clownbus.“

Barbaras Mann ist über den unbeschrankten Bahnübergang im Nachbarort gefahren. Dass ein Zug kam, hat er nicht gemerkt. Der Bus wurde vom Zug erfasst. Heli war sofort tot, auch die beiden Kinder werden am Ende nicht überleben.

Es gibt Momente, die werfen einen in den Staub. Da geht man in die Knie.

Nach der Nachricht der Tagesmutter funktioniert Barbara wie eine Marionette. Fährt sofort los Richtung Unfallort. Sie ist von einer merkwürdigen Ruhe erfüllt. Später beschreibt sie das so: „Nichts in mir rebelliert, nichts lehnt sich auf. Ich fühle, dass hier etwas geschieht, das alle Grenzen sprengt. Es ist zu mächtig, als dass ich es beeinflussen könnte. So gewaltig, dass ich beschließe, die weiße Flagge zu hissen. Mich zu ergeben. Mich hinzugeben. Ganz und gar.“ (S. 36)

Es gibt Ereignisse, denen muss man sich ergeben. „Denn wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“, so hat es einmal der Prophet Daniel in der Bibel beschrieben. (Daniel 9,18) Wir liegen vor dir, Gott. Im Staub. Am Boden.

Barbara ergibt sich. Gibt sich hin. Dem Schmerz, der Ohnmacht, der Wut. Sucht ihren Weg durch die Trauer. Im Nachhinein erkennt sie, dass sie dabei auch andere verletzt hat, ihre Bedürfnisse nicht gesehen hat. Wie die der Schwiegereltern. Sie war ungerecht. Und sie fragt sich: Wie kann mal als Gruppe gemeinsam durch einen Schmerz gehen? Einen Schmerz, „der für jeden anders ist?“ (S. 166)

Die größere, umfassende Gerechtigkeit, die Liebe, die alle wärmt – sie kann sie nicht von sich selbst erwarten. Alles, was sie im Leben gehalten hat, ist ihr weggerissen worden. Doch da erreicht sie die größere Wirklichkeit Gottes. „Meine Gedanken sind ganz still, ich fühle mich von Licht erfüllt, dem Himmel nah. Ich bin mir der Nähe Gottes gewiss, fühle mich geborgen und sicher.“, schreibt sie. (S. 144) Sie glaubt daran, dass es einen Sinn geben muss hinter all dem, was ihr und ihrer Familie widerfahren ist. Und sie bekommt Hilfe. Ein warmes Mittagessen bei der Freundin.

Selbstgebackene Kekse, von Nachbarinnen wortlos vor die Tür gestellt. Liebevolle Worte eines Nachbarkindes. Ein Frauen-Netzwerk, das sie finanziell unterstützt. Sie findet einen Partner, der bleibt, wenn sie vom Schmerz überwältigt wird. Tag für Tag. Schritt für Schritt findet sie ins Leben zurück. Findet immer wieder das göttliche Licht in ihrem Leben, in das ihre Familie – so fühlt sie gewiss - ihr nur vorausgegangen ist.

Quelle: Barbara Pachl-Eberhart: Vier minus drei: Wie ich nach dem Verlust meiner Familie zu einem neuen Leben fand, München: Integral (Random House); 8. Auflage 2010.