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Vircoulon: "Der Kongo braucht eine Strategie"

Maja Braun20. Oktober 2014

Dutzende Menschen kamen jüngst bei Massakern der Miliz ADF im Ostkongo ums Leben. Das war Rache, sagt Thierry Vircoulon, Zentralafrika-Experte bei der International Crisis Group im DW-Interview.

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Thierry Vircoulon, Projektleiter für das Zentrale Afrika der International Crisis Group
Thierry Vircoulon, Projektleiter für das Zentrale Afrika der International Crisis GroupBild: privat

Deutsche Welle: Herr Vircoulon, die Regierung der Demokratischen Republik Kongo hat im März 2014 erklärt, sie habe die ugandische Rebellengruppe ADF (Verbündete Demokratische Kräfte) besiegt. Nun gab es wieder dutzende Tote bei brutalen Massakern im Osten des Landes. War die ADF also nie wirklich ausgeschaltet?

Thierry Vircoulon: Es ist ziemlich eindeutig, dass die Attacke gegen die Zivilbevölkerung am Freitag (17.10.2014) eine Racheaktion der ADF war. Mit der Art, wie sie die Menschen mit Macheten umgebracht haben, wollen sie die Bevölkerung einschüchtern. Denn sie machen den Menschen damit klar, dass sie einen schrecklichen Tod sterben werden.

Trauerzug für die Opfer des Massakers der ADF in Beni, Ostkongo
Trauerzug für die Opfer des Massakers der ADF in Beni, OstkongoBild: J. Kanyunyu

Was ist das Ziel der ADF im Ostkongo?

Die ADF hat eine 20-jährige Geschichte. Ihr Ziel war und ist, die ugandische - nicht die kongolesische - Regierung zu stürzen. Die Milizen der ADF haben viele Jahre ihre Hochburgen an der Grenze zwischen Uganda und Kongo in den Ruwenzori-Bergen gehabt. Anfang des Jahres gingen die UN-Mission MONUSCO und die kongolesische Armee militärisch gegen sie vor. Diese Operationen haben sie aber nur aus diesen Hochburgen verjagt und weiter hinein in den Kongo getrieben.

Rückzugsgebiet der ADF: das Ruwenzori-Gebirge
Rückzugsgebiet der ADF: das Ruwenzori-Gebirge

Haben Sie einen Überblick, wie viele Kämpfer die Gruppe noch hat?

Es wird geschätzt, dass noch etwa 400 Kämpfer übrig sind. Aber die komplette Führungsriege der ADF ist geflohen bei den Militäroperationen in diesem Jahr und hat sich woanders niedergelassen. Sie sind nicht besiegt, wie sie mit den letzten Ereignissen leider beweisen konnten.

Martin Kobler, der Leiter der UN-Friedensmission im Kongo, MONUSCO, war am vergangenen Freitag (17.10.2014) in Beni, um dort den Menschen sein Mitleid für die Opfer der ADF-Attacke auszusprechen. Dort hat er auch zugesagt, dass die MONUSCO ihre gemeinsamen Anstrengungen mit der kongolesischen Armee intensivieren will, um die ADF zu neutralisieren. Wie kann denn die ADF überhaupt besiegt werden - nachdem sie es ja angeblich schon einmal war?

Nun, ich weiß nicht, was sie machen, aber ich weiß, was sie falsch machen. Es ist doch offensichtlich, dass man eine bewaffnete Gruppe nicht neutralisieren kann, wenn man sie nur bombadiert. Es sei denn, man bringt die ganze Führungsriege um. Die MONUSCO und die kongolesische Armee haben das Anfang des Jahres nicht geschafft, sondern haben als Ergebnis ihrer Operation lediglich die Milizionäre zersplittert. Jetzt haben sie sich neu gruppiert und starten Rachefeldzüge. Da stellt sich die Frage, was die Strategie von MONUSCO und Armee ist. Haben sie wirklich eine Strategie gegen diese bewaffneten Gruppen, die darüber hinausgehen, zu bombardieren und zu hoffen, dass man sie alle erledigt hat?

Martin Kobler tröstet einen Jungen, der bei einem Angriff von ADF-Rebellen in Beni seine Eltern verloren hat
Martin Kobler tröstet einen Jungen, der bei einem Angriff von ADF-Rebellen in Beni seine Eltern verloren hatBild: John Kanyunyu

Was wäre denn die richtige Strategie?

Man hätte natürlich den militärischen Druck auf die ADF aufrecht erhalten müssen, nachdem man ihre Hochburgen angegriffen hat, und man hätte sie aufspüren müssen. Das ist in keinster Weise passiert. Ich sehe auch keine Anzeichen, dass man versucht, mit der ADF einen Verhandlungsprozess zu starten - das ist ja auch schwierig, wenn man sie vorher bombardiert hat. Das Problem mit der ADF ist das gleiche wie mit der FDRL und all den anderen bewaffneten Gruppen in der Region, nämlich: Welche Strategie gibt es außer den militärischen Angriff?

Wissen Sie, wie viele Milizengruppen und Kämpfer im Osten des Kongos zur Zeit aktiv sind?

Der Ostkongo wird seit 20 Jahren von bewaffneten Gruppen heimgesucht. Es ist ziemlich aussichtslos zu versuchen, die Zahl der Kämpfer zu schätzen, denn auch ein Großteil der Bevölkerung gehört dazu. Das ist ja kein Vollzeitjob, sondern oft ein Teilzeitjob. Derzeit gibt es etwa 40 bis 50 bewaffnete Gruppen im Ostkongo, aber nicht alle stellen die gleiche Bedrohung dar.

Thierry Vircoulon ist Projektleiter für das Zentrale Afrika bei der Nichtregierungsorganisation "International Crisis Group", die sich der Lösung und Vorbeugung tödlicher Konflikte verschrieben hat.

Das Interview führte Maja Braun.