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Virtuelle Attacken auf dem Balkan

3. Februar 2005

Hacker in Ex-Jugoslawien gehen im Web aufeinander los: Kroaten, Serben und Albaner knacken gegenseitig Webseiten und hinterlassen nationalistische Parolen. Und führen in Online-Foren erbitterte politische Debatten.

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Die Tastatur wird zur WaffeBild: bilderbox

Albanische Internet-Freaks haben im Dezember die Kosovo-Präsentation der serbisch-orthodoxen Kirche geknackt: Statt der üblichen Kloster-Fotos war dort plötzlich "Kosovo wird unabhängig sein" zu lesen.

Als Antwort darauf attackierten serbische Hacker den Online-Auftritt der albanischen Hauptstadt Tirana und hinterließen wüste Beschimpfungen. Die Bilanz der vergangenen vier Wochen: Knapp 100 serbische und rund ein Dutzend von Albanern betriebene Web-Seiten sind illegal verändert worden.

Virtuelle Angriffe

Auslöser für die virtuellen Attacken zwischen Serbien und Kroatien in der zweiten Dezember-Hälfte war, dass einem nationalistisch gesinnten serbischen Basketballer die Einreise nach Kroatien verboten worden war. Kroatische Hacker ließen ihrer Unzufriedenheit über die politische Einstellung des Sportlers freien Lauf, indem sie die Homepage des größten serbischen Privatsenders "Pink" angriffen: Sie schickten "Grüße an Groß-Serbien" - begleitet von kroatischer Fahne und Wappen.

Das ließen sich serbische Hacker nicht gefallen: Prompt war auf der offiziellen Seite der kroatischen Ski-Weltmeisterin Janica Kostelic die Botschaft "Grüße an die Kroaten" und Fotos der serbischen Basketball-Nationalmannschaft zu sehen. In den zwei darauf folgenden Wochen wurden mehr als 80 kroatische und serbische Web-Seiten manipuliert und dort mehr oder weniger explizit nationalistische Parolen hinterlassen.

Warum und wozu?

In den Medien beider Länder beteuerten die Missetäter jedoch stets, dass sie keine nationalistischen Beweggründe hätten, sondern lediglich auf eigene Fähigkeiten Aufmerksamkeit lenken wollten. "Mir ist es egal, ob ich eine serbische, kroatische, albanische oder sonst eine Seite angreife", sagte einer der berüchtigten serbischen Hacker, der sich "AcidCookie" nennt, in einer Radio-Sendung.

Ein anderer, der sich das Pseudonym "DTM" gegeben hat, erklärte, er wolle nur auf die Sicherheitslücken im Internet auf dem Balkan hinzuweisen. Es mache "einfach Riesenspaß, weil man die eigene Meinung auf einer Internet-Seite veröffentlichen kann, die täglich eine Million Besucher hat", so "DTM".

Über die Grenzen

Meinungsaustausch zwischen den im letzten Jahrzehnt verfeindeten Völkern des ehemaligen Jugoslawien kann aber auch anders aussehen: Populäre Web-Seiten wie die des Belgrader Senders "B92" oder des kroatischen Portals "index.hr" unterhalten Foren, wo auch die Tagespolitik kommentiert wird - über Landesgrenzen hinweg. Bei "B92" melden sich beispielsweise viele Albaner zu Wort, um ihre Argumente für eine Unabhängigkeit des Kosovo oder gegen eine Teilung der unter UNO-Verwaltung stehenden Provinz vorzubringen. Und bei "index.hr" sind auch zahlreiche Serben, Montenegriner oder Bosnier engagierte Teilnehmer von Diskussionen über Kriegsverbrechen und Vergangenheitsbewältigung.

Vorläufer für reale Treffen?

Solche Internet-Foren, sagt der Kölner Internet-Soziologe Lorenz Gräf, seien heutzutage ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen Meinung: In solchen Diskussionsforen liege eine Chance, aber auch ein gewisses Risiko. "Ich glaube, dass diese Foren eine gute Möglichkeit sind, irgendwann einmal eine politische Meinung zu formen", sagt Gräf. "Aber wenn sie so nur im Allgemeinen existieren, haben sie noch nicht viel Einfluss, weil sie noch nicht in dem Sinne organisiert sind."

Grenzüberschreitende Internet-Kontakte zwischen jungen computer-begeisterten Menschen in der Region ersetzen auch fehlende Reisen: Fast zehn Jahre nach den kriegerischen Auseinandersetzungen sind Touristen aus Serbien ebenso selten an der kroatischen Adria anzutreffen, wie Kroaten in Belgrad. Da es aber durch die rege Berichterstattung viel über die Nachbarländer zu lesen oder zu hören gibt, möchten sich immer mehr Leute auch selber ein Bild vom anderen machen. "Ich kann mir durchaus vorstellen, dass solche Foren dazu dienen, dass man zu einer Annäherung kommt", sagt Internet-Soziologe Gräf. "Vielleicht sagen die Teilnehmer sich irgendwann: 'Du bist aber nett, lass uns doch mal treffen'."

Internet-Missbrauch

In den Foren tummeln sich aber nicht nur Wohlgesonnene, sondern auch Fremdenhasser. Deren Einträge werden in der Regel schnell von den Moderatoren gelöscht. Allerdings sind gerade solche Foren immer öfter Ziel von Hacker-Angriffen, weil die Computer-Programme, auf denen sie basieren, für Experten leicht zu knacken sind.

Internet-Fähigkeiten für politische Zwecke zu missbrauchen, ist nicht neu: Schon während des NATO-Bombardements auf Serbien im Frühjahr 1999 wurden die Zentralrechner der Alliierten und des Pentagon angegriffen und auf zahlreichen Web-Seiten Anti-Kriegs-Botschaften verbreitet.

Fremde Web-Seiten zu manipulieren ist allerdings in allen diesen Ländern strafbar. Aufruf zum Fremdenhass ebenso - auch in Internet-Foren. Doch um tätig zu werden, müssten die Behörden zuerst die tatsächlichen Namen und Anschriften der anonymen Netz-Surfer herausfinden. Dazu aber fehlt in Südosteuropa noch immer die nötige Ausstattung und das nötige Know-how.

Filip Slavkovic
DW-RADIO, 27.1.2005, Fokus Ost-Südost