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Virtuelle Haushaltskommissarin

Gerda Meuer28. Mai 2003

Ja, es ist ein Skandal. Bei dem EU-Statistikamt Eurostat gibt es Schwarzkonten, werden Bilanzen und Aufträge gefälscht und es herrscht Vetternwirtschaft. Aber dieser Skandal verwundert einen auch nicht besonders.

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Der Skandal entspricht dem Image der Europäischen Union als einer riesigen Geldverteilungsmaschinerie, der schon mal einige Millionen verloren gehen. Und: der Skandal hält sich auch an den Status Quo, dass bei einigen EU-Staaten das europäische Gemeinwohl nicht unbedingt vor dem nationalen Wohl kommt.

Das führende Personal der Affären-Behörde Eurostat kommt aus Frankreich. Und in der Grande Nation hat man bekanntermaßen eine besonders kreative Auffassung über den Umgang mit Steuergeldern, Präsident Mitterrand verfügte ganz offiziell über einen Reptilienfonds und im übrigen bevorzugen Franzosen prinzipiell ihre Landsleute, wenn Stücke des EU-Kuchens verteilt werden oder andere Vorteile zu ergattern sind. Darüber kann man ärgerlich sein oder als Deutscher auch neidisch, aber es ist wie gesagt bekannt und da es bei dem Skandal um Eurostat genau um solche Dinge geht, hält sich die Empörung im offiziellen Brüssel auch in Grenzen.

Aber die Affäre hat eine zweite Ebene. Und der bildliche Ausdruck davon ist die Hilflosigkeit, ja fast Verzweiflung der zuständigen Sprecher der EU-Kommission. Seit Wochen wird die Kommission gefragt, wann, wie und wo die 19 Kommissare und ihr Chef Romano Prodi über die unlauteren, ja kriminellen Machenschaften in Luxemburg, am Sitz von Eurostat, informiert wurden. Etwa schon vor drei Jahren wie ein Schreiben des EU-Amtes für Betrugsbekämpfung, OLAF, nahe legt? Oder erst vor drei Monaten, aber auf jeden Fall bevor die Kommission im Parlament Auskunft geben musste? Die Antworten sind nicht wirklich befriedigend. Und vor allem: die Damen und Herren antworten nicht selbst, sie sind wie vom Erdboden verschwunden und überlassen ihren Sprechern die undankbare Aufgabe, zu erläutern, was sie offensichtlich nicht erläutern wollen.

Am meisten in der Bredouille ist dabei nicht Währungskommissar Pedro Solbes, dem Eurostat untersteht, sondern die grüne Haushaltskommissarin Michaele Schreyer. Sie ist für die ordnungsgemäße Verwaltung des EU-Haushaltes zuständig und sie ist auch Chefin der Anti-Betrugsbehörde OLAF. Als Verantwortliche muss sie zu den Vorwürfen Stellung nehmen, muss der Öffentlichkeit darlegen, warum die Staatsanwaltschaft in Luxemburg und in Frankreich eingeschaltet wurde, muss erklären, wie und wann es bei Eurostat zu solch gravierenden Unregelmäßigkeiten kommen konnte.

Doch Schreyer ist wie vom Erdboden verschluckt und erfährt deshalb vermutlich auch nur aus der Zeitung, dass Abgeordnete des EU-Parlaments bereits ihre Ablösung fordern. Dabei hätte die Kommissarin allen Grund diesmal Farbe zu bekennen. Denn sie steht ohnehin unter Druck wegen Mängel in ihrer Rechnungsführung und erheblicher Probleme in der Personalführung. Da kann nur noch die Flucht nach vorne helfen.

Aber: im Moment gibt es in Brüssel nur eine virtuelle Haushaltskommissarin. Das ist nicht nur unbefriedigend für das öffentliche Interesse, sondern auch zutiefst undemokratisch.