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Politik

Visa-Termine gegen Bargeld

1. November 2016

So einen Ansturm gab es seit Jahrzehnten nicht mehr: Tausende Serben wollen nach Deutschland auswandern. Doch im Konsulat einen Termin zu bekommen, ist eine Herkulesaufgabe - und so kommen Zwischenhändler ins Spiel.

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Serbien Deutsche Botschaft Belgrad
Bild: DW/I. Petrovic

Für Biljana Žarković ist Rostock ein Traum. Ein Job in der dortigen Klinik wartet auf die arbeitslose Krankenschwester aus der südserbischen Stadt Niš. Žarković, die ihren echten Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, ordnete auf ihrem Tisch darum alles, was man für ein Arbeitsvisum so braucht: Arbeits-Vertrag, Zertifikat über ihre Deutsch-Kenntnisse, Passfotos... Es fehlt nur noch eine Kleinigkeit: ein Termin im deutschen Konsulat. "Ich versuche es seit Mai, ich bin ständig auf der Website für die Terminvergabe. Doch zu keiner Zeit war ein Termin frei", beschwert sich die 45-Jährige.

Neben ihrem Rechner stapeln sich unbezahlte Rechnungen, allein mit der Miete ist sie rund 3000 Euro im Rückstand. Rostock ist ihre einzige Rettung. Verzweifelt beobachtet sie die Website, hofft, dass jemand plötzlich einen Termin absagt - und dass sie dann die Schnellste ist. Bislang war sie es noch nie. In Foren liest sie die Erfahrungen der Anderen. Einige von ihnen sind optimistisch und verteilen Tipps: "Verliert nicht die Hoffnung! Wecker für 00:15 einstellen, dann bis 00:30 in die Tastatur hämmern." Angeblich werden die Termine meist nach Mitternacht freigegeben. Andere sind pessimistisch: "Das ist eine echte Schummelei. Dagegen kann man allein nicht kämpfen."

Serbien Deutsche Botschaft Belgrad
Termine sind in der deutschen Botschaft in Belgrad schwer zu bekommenBild: DW/I. Petrovic

An dieser Stelle kommen Agenturen ins Spiel, die sich rund um die deutsche Botschaft in Belgrad angesiedelt haben. Die sind eigentlich als Dolmetscher registriert, verdienen ihr Geld aber auch durch Terminverkauf: Viele Mitarbeiter, ständig in Bewegung, werben ihre Kunden sogar in der Warteschlange vor dem Konsulat an. Ihr Angebot ist ein regelrechter Renner in diesem Sommer: Tausende Serben nutzen das immerhin etwas erleichterte Prozedere, um ein Arbeitsvisum zu bekommen. In den schlichten Räumen der Agenturen herrscht Hochbetrieb, untermalt von den Geräuschen unzähliger Telefonate und Kopierer.

Man müsse nur eine Kopie des Passes und Geld abgeben, die Agenturen machten den Rest, berichtet Biljana Žarković: "Sobald die Botschaft die neuen Termine freigibt, geben die Agenturen schnell die Daten ein und fertig. Das Geld wollen sie auf die Hand." Vertrag oder Quittung? So etwas gebe es nicht, sagt die Krankenschwester.

"So ist das Leben"

Ein Anruf bei der Agentur "Europa" Anfang August. Wir wollen einen Termin kaufen. "Ich kann dir was für Ende Oktober besorgen. Bis dahin ist alles voll. Es kann sein, dass etwas Früheres aufblitzt, kann ich aber nicht garantieren", sagt die tiefe männliche Stimme. Allein schaffe man es niemals, versichert die Stimme, und viele hätten schon Job-Gelegenheiten in Deutschland verpasst, weil sie keinen Termin bekamen. "Ich habe zehn Hacker, die auf diese Technik spezialisiert sind. Die sind 24 Stunden am Tag auf der Webseite und ergreifen die freien Termine innerhalb von fünf Sekunden. Ja, die Leute sind Profis. Und das muss man bezahlen."

So landet man schnell beim Preis. 250 Euro, sagt der Mann, mindestens 100 im Voraus. "Dann werde ich mich bei dir melden. Du kommst dann zwei Stunden vor dem Termin zu mir, so dass wir in Ruhe alle Dokumente sortieren und kopieren können. Dann gebe ich dir die Termin-Bescheinigung." Hacker? Bargeld auf die Hand? Klingt ein wenig illegal… "Nein, ist alles legal", antwortet der Händler. "So viele Leute haben es schon gemacht. Es ist wie bei der Auto-Registrierung - auch da kannst du Vermittler engagieren. So ist eben das Leben."

So landet Belgrad in einer traurigen Reihe neben Teheran, Beirut und anderen Metropolen, wo nach Medienberichten ebenfalls ein Handel mit den ersehnten Terminen in deutschen Konsulaten stattfindet. Und es entsteht eine absurde Situation: Ausgerechnet Menschen, die aufgrund der wirtschaftlichen Misere auswandern wollen, müssen tief in die Tasche greifen, um ihre Chancen zu steigern. Die Preise gehen hoch bis auf 500 Euro, heißt es in Foren. Und das in einem Land, wo der monatliche Mindestlohn umgerechnet 180 Euro beträgt und fast ein Drittel der Einwohner gar keine Arbeit hat.

"Grundsätzlich zulässig"

Dabei hatte das Auswärtige Amt gerade wegen möglicher Schummeleien in den Auslandsvertretungen auf die Online-Terminvergabe umgestellt. Der Server liegt in Berlin, einzelne Botschaften und Konsulate haben damit nichts zutun. "Es ist gesetzlich grundsätzlich zulässig, dass man einen Dritten - auch gegen Bezahlung - mit der Buchung eines Termins beauftragt. Diesen Umstand nutzen leider zum Teil unseriöse Agenturen aus", meint der deutsche Botschafter in Serbien, Axel Dittmann. 

Serbien Deutsche Botschaft Belgrad
Private Agenturen verkaufen Termine - und verdienen gutBild: DW/I. Petrovic

In seiner schriftlichen Stellungnahme gegenüber der DW versichert er, dass die Botschaft auf die verstärkte Nachfrage der serbischen Bürger mit zusätzlichem Personal reagiert hat. Allerdings könne man die Kapazität nicht unbegrenzt erhöhen, weil es "nur eine begrenzte Anzahl an Visa-Schaltern" gebe. "Wichtig für uns ist: einen Termin kann jeder kostenlos buchen, zum Teil erfordert es aber, auch das will ich offen sagen, ein erhebliches Maß an Geduld."

Biljana Žarković hatte Geduld, hat jetzt aber keine Zeit mehr zu verlieren. Denn für die Krankenschwester rückt Rostock jeden Tag etwas weiter in die Ferne: Die Klinik will, dass sie endlich anfängt. Deswegen überlegt nun auch sie, eine der Agenturen aufzusuchen - sobald sie genug Geld zusammen hat. "Ich weiß, es ist illegal. Aber wenn es legal gar nicht geht… Keiner wird ewig auf mich warten."