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Volksabstimmung mit der Kugel

16. April 2009

Viele Menschen in Tschechien haben nach einer Regierungskrise die Nase voll von ihren Politikern. Zwei Künstler wollen den Menschen eine Möglichkeit geben, mit den Politikern abzurechnen.

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Eine Pistolenmündung (Foto: AP)
Politiker abschießen - in Tschechien jetzt möglich (Symbolfoto)Bild: AP

200 kleine Foto-Porträts hängen an einer Wand. Sie sind alphabetisch geordnet. Vier Meter entfernt von ihnen steht ein Luftgewehr. Auf den Fotos sind die Gesichter der tschechischen Parlamentsabgeordneten. Es ist eine makabre Form des Politbarometers, die sich zwei Kunststudenten ausgedacht haben.

Der Kunst interessierte und Politik verdrossene Galeriebesucher kommt, sieht und schießt. Noch-Premier Topolanek und Sozialdemokraten-Chef Paroubek sind schon völlig zerfetzt.

Dem Ärger Luft machen

Es sei eine einfache und leicht verständliche Installation, lobt der Kurator der Galerie "Roxy-NOD", Milan Mikulastik. Hier bekomme fast jeder Politiker die Kugel, die er verdiene. Die Tschechen hätten die Nase voll von ihrer politischen Elite – nach einer Regierungskrise und einer verpatzten EU-Ratspräsidentschaft.

Dass seine Installation nur kurze Zeit nach einem Amoklauf in Deutschland zu sehen ist, bei dem 15 Menschen starben, hält Künstler Michal Kraus nicht für problematisch. Er wolle der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Und nicht alle würden schießen, einige schauten sich nur das Resultat an, sagt er.

Schlangen vor dem Luftgewehr

Der tschechische Premier Mirek Topolanek schaut enttäuscht (Foto: AP)
Weit oben auf der Abschussliste: Noch-Premier TopolanekBild: AP

Das Interesse der Bürger an der Politikerjagd ist groß. Vor dem Luftgewehr haben sich in den ersten Tagen lange Schlangen gebildet. Politiker abzuschießen sei eine Spitzenidee, meint ein 30-jähriger Mann. Ob das Spiel nicht gefährlich ist? "Was ist heutzutage schon gefährlich? Unsere Republik treibt gerade weiß Gott wohin, da ist doch alles schon egal. Unsere Regierung ist eine Tragödie. Ich glaube, die Installation hier ist für niemanden eine Bedrohung", sagt ein 40-jähriger Tscheche.

Doch es gibt auch abwehrenden Reaktionen, wenn auch nur vereinzelt. Eine ältere Frau spricht von Menschenjagd. Sie habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Und auch ein Journalist schüttelt den Kopf: "Das ist eine schlechte Art, in einer demokratischen Gesellschaft mit den Politikern abzurechnen. Leider zeigt sich hier, dass die Tschechen 20 Jahre nach ihrer friedlichen Samtenen Revolution nicht besonders weit gekommen sind."

Die zerschossenen Gesichter sollen Ende April 2009 den einzelnen Abgeordneten überreicht werden. Ob die Einschüsse das politische Klima verändern, ist wohl eher fraglich.

Autor: Christian Rühmkorf

Redaktion: Julia Kuckelkorn