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Vom Arbeiterverein zur Agenda 2010

Heinz Dylong24. Mai 2003

Die SPD hat Geburtstag: Die älteste und größte deutsche Partei feiert ihre 140-jährige Geschichte. Am 23. Mai 1863 gründete Ferdinand Lassalle den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" (ADAV), den Vorläufer der SPD.

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Kanzler Schröder bei der SPD-Feier mit europäischen SozialdemokratenBild: AP

Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts kristallisierte sich die Arbeiterschaft als eigener Teil der deutschen Gesellschaft heraus. Und in den 1860er Jahren begann sie, sich auch politisch zu organisieren. Erste Gewerkschaften entstanden, und neben dem am 23. Mai 1863 von Ferdinand Lassalle gegründeten ADAV wurde 1869 von August Bebel und Wilhelm Liebknecht die 'Sozialdemokratische Arbeiterpartei' ins Leben gerufen. Beide Organisationen fusionierten 1875. Die marxistische Orientierung dieser 'Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands' war unübersehbar und verstärkte sich noch, als die Partei 1878 verboten wurde. Zwar durfte sie noch an den Reichstagswahlen teilnehmen, parteipolitische Aktivitäten waren ihr jedoch untersagt. Behinderungen, auch Verfolgungen und Verhaftungen begleiteten die Partei bis 1890.

Nach Aufhebung der Sozialistengesetze wurde sie - inzwischen in SPD umbenannt - zu einer tatsächlich reichsweit die Industriearbeiterschaft repräsentierende Partei. Die SPD wurde zu einer Massenorganisation. Interne Auseinandersetzungen um den rechten Weg begleiteten diese Phase der Parteientwicklung - Revolution oder Reform? So lautete die Kernfrage. Am Ziel, den Sozialismus zu verwirklichen, wurde dabei nicht gezweifelt. In der politischen Praxis aber setzte sich eine gemäßigte sozialreformerische Linie durch. Sie trug dazu bei, dass die SPD nach der Wahl 1912 die stärkste Fraktion im Reichstag stellte. Eine neuerliche Belastungsprobe für die Partei folgte im Sommer 1914, bei Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Zustimmung zu den Kriegskrediten im Parlament führte 1917 zur Spaltung der Partei. Neben der SPD entstand die USPD, die 'Unabhängige Sozialdemokratische Partei'.

Tragende Säule der Weimarer Republik

Als im Zuge der militärischen Niederlage die deutsche Monarchie in der November-Revolution 1918 hinweg gefegt wurde, übernahmen SPD und USPD de facto die Regierungsverantwortung in Deutschland. Die SPD bekannte sich zur parlamentarischen Demokratie. Die Partei bekam maßgeblichen Einfluss auf die Erstellung der neuen Verfassung und wurde zu einer tragenden Säule der Weimarer Republik. Bis 1925 stellte die SPD mit Friedrich Ebert den Reichspräsidenten und mehrmals den Regierungschef. Programmatisch wurde das sozialistische Ziel hochgehalten. In der politischen Praxis aber "beschränkte" sich die SPD auf den Versuch, ihre Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit reformerisch umzusetzen.

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 stellte sich die SPD der demokratischen Bewährungsprobe. Bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz, das die Rechte des Parlaments ausschaltete, stimmte die SPD als einzige Partei des Reichstags - die kommunistischen Abgeordneten waren bereits ausgeschlossen - dagegen. Otto Wels, der damalige Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD begründete das Votum in der Reichstagsdebatte: "Nach den Verfolgungen, die die 'Sozialdemokratische Partei' in der letzten Zeit erfahren hat, wird niemand von ihr billigerweise erwarten und verlangen können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden wie das jetzt geschieht. Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht."

Parteiverbot durch die Nationalsozialisten

Und in der Tat, vielen Sozialdemokraten wurden während der nationalsozialistischen Diktatur Freiheit und Leben genommen. Der Parteivorstand verlegte nach dem Verbot der SPD im Juni 1933 seinen Sitz ins Exil. Mehr oder weniger prominente Sozialdemokraten gingen in die Emigration, viele wurden in Konzentrationslager gesperrt. Innerhalb Deutschlands gelang es bis zu einem gewissen Grad, illegale Strukturen aufrecht zu erhalten, was nach 1945 den Neuaufbau der Partei erleichterte.

In den westlichen Besatzungszonen wurde bald der ehemalige KZ-Häftling und SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher zur beherrschenden Figur. Die deutsche Einheit hatte für ihn absolute Priorität. Deshalb wandte sich der SPD-Vorsitzende Schumacher bis zu seinem Tod 1952 gegen alle Schritte der westlichen Integration der Bundesrepublik, wie sie die von Bundeskanzler Konrad Adenauer geführte CDU-Bundesregierung verfolgte. Aus seiner antikommunistischen Grundüberzeugung heraus hatte sich Schumacher auch mit Vehemenz gegen die bereits 1946 in der sowjetischen Besatzungszone vollzogene Vereinigung von SPD und KPD gestemmt. Die 50er Jahre hindurch blieben sozialistische und planwirtschaftliche Elemente dennoch Teil der SPD-Programmatik.

Godesberger Programm

1959 erfolgte der programmatische Schnitt - nach bitteren Niederlagen bei allen drei vorausgegangenen Bundestagswahlen. Mit dem Godesberger Programm wandelte sich die SPD von der theoretisch nach wie vor proletarischen Klassenpartei zur Volkspartei.

Der Hinwendung zur Marktwirtschaft folgte bald auch die außenpolitische Klärung. Die Partei fand sich mit dem Aufbau der Bundeswehr und der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO ab. 1966 gelang dann erstmals der Sprung an den Kabinettstisch, in einer Koalition mit der CDU/CSU. Und 1969 stellte die SPD mit Willy Brandt erstmals den Bundeskanzler. Die Ost- und Entspannungspolitik wurde zum Markenzeichen der SPD/FDP-Koalition. Verschiedene innen- und sozialpolitische Reformvorhaben sorgten zudem dafür, dass die SPD 1972 ihren größten Wahlsieg in der Geschichte der Bundesrepublik errang. Auch nach dem Rücktritt Brandts 1974 dauerte die sozial-liberale Ära fort. Doch 1982 wurde der SPD-Kanzler Helmut Schmidt in einem konstruktiven Misstrauensvotum gestürzt. Es folgten 16 Jahre in der Opposition, die 1998 mit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder endeten. Wenige Monate später wurde er nach dem überraschenden Rückzug Oskar Lafontaines von einem Sonderparteitag auch zum Vorsitzenden der SPD gewählt - er ist der achte seit 1945.

Agenda 2010

Schröder blieb auch nach der Bundestagswahl 2002 der Vorsitzende, denn die Koalition mit den Grünen errang die Mehrheit im Bundestag, Gerhard Schröder behielt sein Amt. Doch die von ihm nun vorgelegte Agenda 2010 mit ihren Einschnitten ins soziale Netz erscheint manchen Sozialdemokraten als Zäsur in der Parteigeschichte. Der Sonderparteitag am 1.Juni wird das Thema nur vordergründig erledigen. Die grundsätzliche Debatte über den weiteren Weg der SPD wird damit voraussichtlich erst beginnen.