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Vom Börsenstar zum Buhmann der Nation

Karl Zawadzky16. Juli 2002

Zum Wechsel an der Vorstandsspitze der Deutschen Telekom - ein Kommentar von Karl Zawadzky.

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Er war der Liebling der Kleinanleger, fast ein Popstar der
Wirtschaft: Ron Sommer. Doch der Weg vom Börsenstar zum Buhmann der Nation ist kurz. Nachdem Sommer einsehen musste, dass er das Vertrauen des Aufsichtsrats verloren hatte, hat er die Konsequenz gezogen und seinen Rücktritt vom Vorstandsvorsitz der Deutschen Telekom erklärt. Dieser Rücktritt macht durchaus Sinn, denn der Börsenwert von Europas größtem Telekommunikationskonzern ist innerhalb von zwei Jahren um 90 Prozent gesunken. Die gigantische
Kapitalvernichtung hat die Wut der Aktionäre entfacht.

Insofern war die Kritik auf der letzten Hauptversammlung verständlich, auch die öffentliche Diskussion der letzten Wochen kam nicht überraschend. Doch mit Sommers Rücktritt sind weder die Probleme der Telekom gelöst, noch ist ein Signal für eine neue Unternehmensstrategie gesetzt.

Die Nachfolger, der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Helmut Sihler als Vorstandsvorsitzender und Technik-Vorstand Gerd Tenzer als Stellvertreter, sind nur eine Not- und Übergangslösung. Sihler ist 72 Jahre alt. Seine Aufgabe ist auf sechs Monate befristet worden. In dieser Zeit muss er vor allem eine neue Führungsspitze installieren, von der ein Signal des Aufbruchs ausgeht.

Tenzers Hauptaufgabe wird darin bestehen, für Kontinuität im Tagesgeschäft zu sorgen sowie die weithin deprimierten Mitarbeiter zu besänftigen. Tenzer könnte das gelingen, denn der Ingenieur für Nachrichtentechnik ist fachlich unumstritten und wegen seiner umgänglichen Art bei den Mitarbeitern überaus beliebt.

Um es ganz deutlich zu sagen: Ron Sommer, ein begnadeter Verkäufer und unternehmerischer Visionär, hat das Pech gehabt, in die Mühlsteine der Politik zu geraten. Das hat ihn das Spitzenamt bei der Deutschen Telekom gekostet. Freilich hat Sommer der Politik dafür genügend Argumente geliefert. Bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen hat er zur Freude des Bundesfinanzministers den Preis pro Lizenz auf 8,5 Milliarden Euro in die Höhe getrieben. Für 33 Milliarden Euro hat er den amerikanischen Mobilfunker ViceStream gekauft, jeweils zehn Milliarden Euro haben das Systemhaus Debis und die britische Mobilfunk-Firma One-2-One gekostet. Der Aufbau der Verschuldung gelang problemloser als der Abbau - derzeit weist die Telekom einen Schuldenberg von 67 Milliarden Euro auf.

Das hat die Anleger verunsichert. Doch wichtiger für den Niedergang des Börsenkurses dürfte die allgemeine Krise der Technologiewerte gewesen sein; andere Telekommunikationskonzerne hat es noch weitaus schlimmer erwischt. Doch das hilft dem deutschen Kleinanleger wenig.
Wenn seine Aktien 90 Prozent an Wert verlieren, kann er des
Beistandes der Politik sicher sein, zumal der Bund mit 43 Prozent immer noch der größte Anteilseigner ist.

Instinktlosigkeit des obersten Managements der Telekom kam hinzu. Denn es ist nicht nur der Aktienkurs in die Tiefe gerauscht, sondern der Vorstand des Unternehmens hat sich trotz der Börsenkrise seine Bezüge - plus Abfindungen für ausgeschiedene Mitglieder - vom Aufsichtsrat um nicht weniger als 90 Prozent erhöhen lassen.

Solch eine Steilvorlage lässt die Politik nicht ungenutzt. Immerhin sind 2,9 Millionen Telekom-Aktionäre auch 2,9 Millionen Wähler. Erst hat Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber gestichelt, dann hat die Bundesregierung sich der Sache angenommen - und Sommers Ablösung betrieben. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Hans-Dietrich Winkhaus, hat dabei so dilletantisch operiert, dass er gut daran täte, Sommers Rücktritt zu folgen. Sommer hat sich nicht rauswerfen lassen, sondern erhobenen Hauptes die Zentrale der Deutschen Telekom verlassen. Zurückgelassen hat er ein in seinem Ansehen beschädigtes Unternehmen und verunsicherte Mitarbeiter.

Die letzten Tage waren ein Lehrstück über den verhängnisvollen Einfluss der Politik auf Unternehmen mit Staatsbeteiligung. Es wird lange dauern, den Schaden für die Telekom und für den Ruf der deutschen Wirtschaft auf den internationalen Märkten zu reparieren. Ron Sommer kann für sich in Anspruch nehmen, fast im Alleingang in Deutschland eine neue Aktienkultur geschaffen zu haben. Wer früh
genug verkauft hat, der hat eine Menge Geld verdient. Die anderen haben gelernt, dass die Börse nicht nur eine Richtung kennt. Das hat am Ende auch Ron Sommer erfahren: Wer es bis nach ganz oben geschafft hat, der kann sehr tief fallen.