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Zerstobene Hoffnung

Said Musa Samimy12. November 2006

Vor fünf Jahren eroberte die Nordallianz die afghanische Hauptstadt Kabul. Damals hoffte man auf eine politische Lösung der Konflikte im Land. Doch Frieden ist nach wie vor nicht in Sicht.

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Straßenhändler in Kabul
Straßenhändler in KabulBild: AP
Kämpfer der Nordallianz am 13. November 2001 in Kabul
Kämpfer der Nordallianz am 13. November 2001 in KabulBild: AP

Die Einnahme der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die Nordallianz am 12. November 2001 war ein großer militärischer Sieg, der die Wende im seit Jahrzehnten andauernden Bürgerkrieg am Hindukusch bringen sollte. Die bitteren Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte hatten gezeigt: Der Konflikt im Vielvölker-Staat Afghanistan kann militärisch nur überwunden werden, wenn er von einer politischen Lösung flankiert wird - einer Lösung, die eine angemessen Beteiligung der politischen Vertreter aller Volksstämme an der Zentralverwaltung garantiert. Diesmal schien die Chance für eine solche politische Lösung zu bestehen.

Rahmen für einen Rechtsstaat

Das war noch in den 1990er Jahren anders. Damals hatte die Nordallianz die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul schon einmal erlangt, verlor sie jedoch 1996 wieder an die Taliban. Denn die erhielten finanzielle und militärische Unterstützung vom Terrornetzwerk der Al Kaida unter der Führung Osama bin Ladens.

Erst vor dem Hintergrund der Antiterror-Allianz unter Führung der USA fand die Einnahme Kabuls unter völlig anderen Umständen statt als frühere Eroberungen der Hauptstadt im afghanischen Bürgerkrieg. So kamen am 27. November 2001 auf Einladung der Vereinten Nationen Vertreter von vier politischen Gruppen Afghanistans in Deutschland zusammen - auf dem Petersberg in der Nähe von Bonn.

Nach acht Tagen zäher Verhandlungen wurden am 5. Dezember 2001 die "Bonner Vereinbarungen" über Afghanistan unterzeichnet. Gemäß der Vereinbarungen wurde am 22. Dezember die Interimsverwaltung unter Leitung von Hamid Karsai eingesetzt. Außerdem schuf Afghanistan mit einer neuen Verfassung und demokratischen Präsidentschafts- und Unterhauswahlen den institutionellen Rahmen für einen Rechtsstaat.

Vertrauenskrise der Regierung

Bundeswehrsoldat in der Nähe von Faisabad auf einem Panzer
Bundeswehrsoldat in der Nähe von FaisabadBild: AP

Das Land ist trotzdem nicht befriedet. Denn die Regierung des afghanischen Präsidenten Karsai steckt mittlerweile in einer Vertrauenskrise. Karsai finde keine Antwort auf die Gewalt, sagt Saifuddin Saihon, Dozent an der Universität Kabul. Die Krise in Afghanistan habe ihre Ursachen sowohl im Inneren als auch im Ausland. "Innerhalb des Landes gibt es immer noch bewaffnete Strukturen, die sogar zu ethnischen Auseinandersetzungen geführt haben. Die Regierung ist schwach ", sagt er. "Hinzu kommt die Anwesenheit der ausländischen Streitkräfte, die ihrerseits für das Land Probleme schaffen. Die Einmischung der regionalen Kräfte, von Pakistan bis hin zu anderen Nachbarstaaten, stellt eine andere Ursache der Krise dar."

Noch immer geht die internationale Gemeinschaft gegenüber Pakistan als Rückzugsgebiet der Taliban nicht konsequent vor. Außerdem erfüllte sich die Hoffnung nicht, die NATO könne nach der Kommandoübernahme die Taliban-Milizen aus den entlegenen Dörfern im Süden rasch vertreiben und die Terrorisierung der Bevölkerung beenden. Mängel bei der Logistik, der Luftunterstützung und der Zusammenarbeit mit der schlecht vorbereiteten afghanischen Polizei seien die Ursachen, sagen Militärbeobachter. Außerdem hätten die NATO-Soldaten Schwierigkeiten, sich auf die Taktik der Taliban-Kämpfer einzustellen. Diese setzen verstärkt - nach irakischem Muster - Selbstmordattentäter ein.

Stockender Aufbau

Dass das Vertrauen in Karsai schwindet, liege jedoch nicht nur an der fehlenden inneren Sicherheit, sagt Fahim Daschti, Herausgeber der Zeitschrift "Kabul Weekly". "Die Planlosigkeit der Regierung hat dazu geführt, dass wir nun in Afghanistan, anders als noch vor vier Jahren, mit noch größeren Schwierigkeiten konfrontiert sind."

Der Aufbauprozess ist ins Stocken geraten. Die Kluft zwischen Armen und Reichen nimmt immer mehr zu. Million zurückgekehrte Flüchtlinge sehen keine Perspektive mehr in ihrem Land. Anstatt die demokratischen Kräfte zu fördern, stützt sich Präsident Karsai zunehmend auf die erzkonservativen und streng religiösen Kräfte - mit ungewissem Ausgang. Fünf Jahre nach der Eroberung, sei deshalb bei der Bevölkerung Ernüchterung eingekehrt, sagt Abdul Latif Aschna, Mitarbeiter einer NGO in Kandahar. "Die Versprechungen, welche die Regierung im Hinblick auf den Frieden und Wideraufbau gemacht hatte, haben sich nicht erfüllt." Nach wie vor kann Karsai die Probleme des Lande nicht alleine lösen. Er braucht die internationale Gemeinschaft. Sollte der Frieden nicht hergestellt werden, hat auch sie versagt.