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Vom Hoffnungsträger zum angeschlagenen Zweierblock

Lothar Martin4. Februar 2002

- Tschechiens Viererkoalition am Ende

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Prag, 2.2.2002, RADIO PRAG, deutsch.

Viereinhalb Monate vor den Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus ist ein aussichtsreiches und Präsident Václav Havel nahe stehendes Parteienbündnis zerbrochen. Die liberale Viererkoalition (4K), der gute Chancen für einen Wahlsieg voraus gesagt wurden, erklärte am Freitag (1.2.) nach Wochen langen Querelen ihre Trennung in einen Flügel aus Bürgerallianz (ODA) sowie einen Flügel aus Christdemokraten (KDU-CSL) und Freiheitsunion/Demokratische Union (US-DEU). Beide werden nun getrennt zur Abstimmung am 14./15. Juni gehen. Die Parteien hatten sich auch bei einem letzten Krisengespräch am Freitag in Prag nicht über die Tilgung einer Millionenschuld der ODA einigen können.

Gemeinsam für Veränderungen. Auf diese Formel hatten sich am 1. September 1998 vier kleinere Mitte-Rechts-Parteien in Tschechien zur sogenannten Viererkoalition zusammengeschlossen, um im Verbund den scheinbar übermächtigen Sozialdemokraten (CSSD) und Bürgerdemokraten (ODS) zu trotzen. CSSD und ODS hatten nach den Parlamentswahlen im Sommer 1998 zudem offen in den Raum gestellt, dank ihrer Abgeordnetenmehrheit das Wahlgesetz so zu kippen, dass ihnen die parlamentarische Zugehörigkeit auf Jahre hinaus erleichtert und im Gegensatz dazu den kleineren Parteien erschwert.

Mit der Gründung und Profilierung der Viererkoalition aber wurde dieses Vorhaben vereitelt. Und als das Vier-Parteien-Bündnis bei den Senatswahlen im Herbst 2000 sogar als Wahlsieger hervorging, sprach man hierzulande schon davon, dass die Viererkoalition nun auch bei den bevorstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus den Machtwechsel vollziehen könne.

Doch aus dem aussichtsreichen Hoffnungsträger, der insbesondere in Präsident Václav Havel einen starken Fürsprecher hatte, ist nur noch ein angeschlagener Zweierblock übrig geblieben. Nach dem Zusammenschluss von Freiheitsunion und Demokratischer Union zur US-DEU am 27. Oktober vergangenen Jahres ist mit der Bürgerallianz (ODA) ein Partner ganz aus dem Bündnis verschwunden.

Der Grund? Der stärksten Kraft innerhalb der Viererkoalition, der Christdemokratischen Volksunion (KDU-CSL) waren die aufgedeckten, knapp 70 Millionen Kronen Schulden der ODA ein Dorn im Auge. Der von der ODA vorgelegte Plan zur Schuldentilgung über einen Zeitraum von 14 Jahren wurde von den Koalitionspartnern am Montag noch geradeso akzeptiert, doch als schon zwei Tage später der Vorwurf laut wurde, die ODA habe Spendengelder in Millionenhöhe von ungeklärter Herkunft nicht ordnungsgemäß deklariert, war Schluss mit lustig. Die KDU-CSL beschloss auf ihrer Gesamtstaatlichen Konferenz am Donnerstagabend, nur mit der US-DEU in den Wahlkampf zu ziehen, was den ODA-Vorsitzenden Michael Zantovský zu dem Fazit kommen ließ: "Die Viererkoalition ist Geschichte. Ich wiederhole noch einmal, die Viererkoalition wurde gegründet auf der Basis von unterzeichneten und bestätigten Abkommen. Diese Abkommen wurden durch den Beschluss der KDU-CSL verletzt -ergo facto: die Viererkoalition existiert schon nicht mehr."

Ein genervter Zantovský unternahm danach noch den letzten Versuch eines Befreiungsschlages, indem er sich einverstanden erklärte mit der Streichung der ODA-Politiker von der Kandidatenliste, allerdings nur für den Fall, wenn die Bündnispartner ebenso die Kandidatur von zwei kontroversen Parteimitgliedern stornieren würden. "Es wäre heuchlerisch, die ODA als hauptsächlichen Stolperstein für die Glaubwürdigkeit der Viererkoalition zu bezeichnen und gleichzeitig auf führenden Positionen Politikern die Kandidatur anzubieten, die mit ihrer persönlichen Politik eine Mitverantwortung tragen für die in die Hunderte Millionen gehenden Skandale im Ressort des Verteidigungsministeriums, wie der Abgeordnete Miroslav Kalousek, oder den bis heute nicht aufgeklärten Skandal um die Finanzierung und die Auslandskonten der ODS," sagte Zantovsky:

Mit letzterer Beschuldigung hatte Zantovský den ehemaligen Finanzminister Ivan Pilip (Freiheitsunion) im Visier. Da die Bündnispartner auf dieses Angebot, das ihrer Meinung eher einer Erpressung gleichkomme, nicht eingehen wollten, wurde am Freitag Vormittag ein endgültiger Schlussstrich unter die einst hoffnungsvolle Viererkoalition gezogen. Sichtbarer Beleg war der Rücktritt von Karel Kühnl als Leader des Bündnisses, welches es als solches nicht mehr gebe, sagte Kühnl. Nutznießer dieses Zusammenbruchs sind fraglos die beiden großen Parteien CSSD und ODS, die den Wahlsieg Mitte Juni nun aller Wahrscheinlichkeit nach unter sich ausmachen werden. (fp)