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Protest per Mausklick

28. Mai 2010

Wer heutzutage etwas verändern will, muss eigentlich nur ins Internet gehen. Dort gibt es elektronische Unterschriftenlisten - zu fast allen Themen. Dennoch: Die gute alte Straßendemo bleibt vorerst unverzichtbar.

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Bild: Bilderbox

Es kann so einfach sein. Da schreibt etwa die Organisation Campact eine Vorlage für eine E-Mail an den Abgeordneten aus dem eigenen Wahlkreis. Oder es werden Appelle online gestellt, die man unterzeichnen kann und die sich gegen alles Mögliche wenden: gegen Atomenergie und den Walfang, für mehr Umweltschutz und gentechnikfreies Essen. Kurz Name und Adresse angeben, auf Unterzeichnen klicken - fertig. So läuft Protest im Internetzeitalter.

Telefonaktion von Campact (Foto: Jakob Huber)
Anrufe gegen längere Laufzeiten von AtomkraftwerkenBild: Jakob Huber/Campact

Das Büro von Campact ist in Verden bei Bremen. Aber der eigentliche Sitz ist woanders - im Internet. "Wir vernetzen zurzeit 230.000 Menschen über einen Newsletter, die bei bestimmten Themen in die politische Debatte eingreifen wollen", sagt einer der Gründer, Felix Kolb. Der Name vereint die englischen Wörter Campaign und Act.

Allerdings reiche eine elektronische Unterschriftenliste nur selten aus. "Um die Adressaten zu erreichen, muss der Protest fast immer den Weg aus dem Netz herausfinden", sagt der Medienwissenschaftler Christoph Bieber von der Universität Gießen.

Bei einem erfolgreichen Appell plant deshalb auch Campact weitere Aktionen - dann in der echten Welt. So rief Campact etwa zusammen mit anderen zu einer langen Menschenkette gegen die Atomenergie auf.

Demos, Spenden und Botschaften

(Foto: Jakob Huber)
Campact rief zu einer Menschenkette gegen Kernenergie aufBild: Jakob Huber/Campact

Während Campact sich auf Deutschland konzentriert, kümmert sich Avaaz um die ganze Welt und hat nach eigenen Angaben 4,9 Millionen Mitglieder, 400.000 davon in Deutschland.

Auf der Website sind vornehmlich Petitionen zu finden. Doch die seien meist nur der Ausgangspunkt, sagt Avaaz-Gründer Ricken Patel: "Mal starten wir zehntausende Demonstrationen. Oder wir sammeln Spenden - für Birma haben wir nach einem Zyklon in einer Woche zwei Millionen Dollar zusammen bekommen. Oder wir haben Regierungen mit Mitteilungen überschwemmt und sie aufgefordert, ein Abkommen gegen Streumunition zu unterzeichnen."

Regierungen werden aufmerksam

Obwohl erst 2007 gegründet, schenken Politiker Avaaz ihre Aufmerksamkeit. Großbritanniens Ex-Premier Gordon Brown traf mehrmals Avaaz-Vertreter. Die australische Regierung setzte ihren Klima-Minister ans Telefon und ließ ihn den ganzen Tag Anrufe zum Klimawandel beantworten. Auch Angela Merkel begegnete den Aktivisten auf ihrer letzten Wahlkampftour ständig.

"Wir sehen immer wieder, dass Demokratie funktioniert, wenn die Menschen ihre Regierungen kontaktieren und ihnen klar sagen, was sie wollen. Und dass sie sicher gehen, dass es Konsequenzen hat, wenn die Regierungen nicht auf sie hören", sagt Patel.

Avaaz-Petition gegen Ölbohrungen im Meer. (Screenshot: Avaaz.org)
Botschaft an Obama: Avaaz-Petition gegen Ölbohrungen im Meer

E-Mails einfach löschen

Auch etablierte Organisationen nutzen das Netz für ihre Aktionen. Amnesty International etwa ruft mit seinen "Urgent Actions" dazu auf, sich für Menschen in akuter Not einzusetzen. Das kann ein festgenommener iranischer Journalist sein, dem Folter droht oder 50.000 Menschen, denen in Kenia die Ausweisung bevorsteht. Amnesty fordert dazu auf, persönliche Appelle an die entsprechenden Behörden zu schreiben, seien es Briefe, Faxe oder E-Mails. 80.000 Menschen weltweit würden regelmäßig mitmachen, sagt Amnesty-Sprecherin Mascha Rohner.

Demo von Avaaz-Aktivisten(Foto: Avaaz.org)
Aus dem Internet auf die Straße: Demo beim Klima-Gipfel in KopenhagenBild: Avaaz.org

In rund 40 Prozent der Fälle habe das eine positive Wirkung, so Amnesty. Mascha Rohner sind Briefe allerdings noch am liebsten. "Wir sind der Überzeugung, dass ein Berg Briefe sinnvoller ist, als ein virtueller Berg E-Mails." Mails würden sich leichter filtern oder löschen lassen. "Briefe muss man erstmal öffnen und dann gegebenenfalls händisch wegwerfen."

Keine festen Bindungen

Im Gegensatz zu etablierten Gruppen wie Amnesty International oder Greenpeace, betonen die Internet-basierten Organisationen ihre Flexibilität. Sie würden mehr Themen abdecken und man könne sich aussuchen, wo man mitmache. Das käme den Nutzern von heute oft entgegen, sagt der Medienwissenschaftler Martin Emmer von der Freien Universität Berlin. "Wenn man aktiv werden will, muss man nicht mehr unbedingt einer Partei beitreten. Man muss nicht eine ganze Ideologie mittragen, sondern kann gezielt und fallbezogen aktiv werden."

Dieser Einsatz, so zeigt sich, muss jedoch häufig über das bloße Unterzeichnen eines Appells im Internet hinausgehen. Es mag neue, Internet-basierte Organisationen geben. Doch auch ihr politischer Protest muss meistens raus aus dem Netz, auf die Straße oder in klassische Medien. Das Internet hilft, kurzfristig und schnell Gleichgesinnte zu finden und zu organisieren. Mit ein paar Klicks die Welt zu verändern ist aber nicht drin.

Autor: Julian Mertens

Redaktion: Kay-Alexander Scholz

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