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Europas Eigendynamik

15. Januar 2010

Die EU-Kommissare wollen mit ihrer Arbeit die Europäische Union ein Stück weit verändern, doch die Union verändert auch ihre Kommissare. Ein Kommentar von Christoph Hasselbach.

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Themenbild Kommentar
Bild: DW

Der designierte EU-Energiekommissar Günther Oettinger war bis zu seiner Anhörung vor dem Industrie- und dem Umweltausschuss des Europaparlaments ein unbeschriebenes Blatt in Brüssel. Wenn er überhaupt einen Ruf hatte, dann den eines deutschen Regionalpolitikers mit entsprechend eng gefassten Interessen und Abhängigkeiten: Schutz der eigenen Autoindustrie und des Mittelstands. In Energiefragen, seinem neuen Ressort, galt er als Lobbyist der Atomwirtschaft und als Höfling der wenigen in Deutschland tätigen Großkonzerne. Manche seiner Äußerungen hatten diesen Eindruck auch bestätigt. Ein Energiekommissar Oettinger? Für viele eine Schreckensvision.

Fünf Jahre unter Beobachtung

Günther Oettinger vor einer Weltkugel (Foto: dpa)
Vom Baden-Württemberger zum Europäer? Günther OettingerBild: DPA

Doch Oettinger hat in der Befragung die meisten seiner Kritiker positiv überrascht. Alle Kommissarsanwärter müssen sich in den Anhörungen auf scharfe Fragen gefasst machen. Eine davon ist immer dieselbe, auch wenn sie meist sehr indirekt gestellt wird: Wie europäisch und wie unabhängig ist der Kandidat? Empfindet er sich als verlängerten Arm der Regierung oder als Interessensvertreter eines heimischen Wirtschaftszweigs? Oder fühlt er sich dem europäischen Ganzen verpflichtet?

Es wäre nicht überraschend, wenn auf viele designierte Kommissare Druck ausgeübt würde, eine Klientelpolitik zu betreiben. Doch es ist erstaunlich, wie wenig das gelingt. Oettinger selbst sagte gegen Ende der Anhörung sinngemäß, nirgendwo werde man so hart auf seine Gesinnung geprüft wie hier. Es ist tatsächlich kein Spaß, drei Stunden lang vor laufenden Kameras in die Mangel genommen zu werden.

Christoph Hasselbach (Foto: DW)
Christoph Hasselbach verfolgt die Anhörungen in BrüsselBild: DW

Von daher stimmt es auch nicht, oder nicht mehr, dass die Kommission das Ruhekissen für abgehalfterte Politiker aus den Mitgliedsstaaten ist. Und die Kontrolle hört nicht mit der Befragung auf. Parlament und Journalisten achten volle fünf Jahre darauf, dass es keine nationalen Rückfälle gibt.

Wie wird Oettinger in fünf Jahren sein?

Politiker aus den Einzelstaaten und Regionen klagen oft, der Brüsseler Betrieb sei zu abgehoben, zu weit weg. Das mag zum Teil zutreffen. Aber Brüssel entwickelt eben auch eine positive europäische Eigendynamik, der man sich kaum entziehen kann. Günther Oettinger dürfte nach fünf Jahren ein anderer sein als heute. Er wäre nicht der erste, den der europäische Sog verändert.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Julia Kuckelkorn