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Von Berlin nach Teheran

7. Juli 2007

Der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan hat anlässlich des Literaturprojekts ost-westlicher Diwan mehrere Wochen Deutschland bereist. Hier schildert er seine Eindrücke.

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Amir Hassan Cheheltan
Amir Hassan Cheheltan entdeckt Verbindungen zwischen Berlin und TeheranBild: Amir Cheheltan

Ein angesehener iranischer Adliger, der 1876 zum Studium nach Deutschland gekommen war, schreibt in seinen Memoiren über dieses Land: "Wenn ich sage, dass es dem säulenreichem Iram (= versunkene Stadt auf der arabischen Halbinsel, in der den Legenden nach ein paradiesähnlicher Garten errichtet wurde) gleicht, habe ich nicht übertrieben."

Das blühende Grün dieses europäischen Landes erscheint allen, die aus den weitgehend dürren Breiten Irans kommen, vor allem als Zeichen des verheißenen Paradieses. Leuchtendrote Ziegeldächer inmitten einer grünen Ebene sind das einzigartige Bild, das sich mir über dem Himmel Frankfurts beim Blick aus dem Flugzeug eingeprägt hat.

Ein Zwischenfall am Flughafen

Auf jeder Reise ereignen sich kleinere Zwischenfälle, die man grundsätzlich nicht Ernst nehmen sollte; zu einem davon kam es bei meiner Einreise nach Deutschland. Ich vergesse meist meine orientalische Erscheinung, verständlicherweise werde ich in meiner Heimat nicht daran erinnert. Am Frankfurter Flughafen wurde ich in der Schlange der Reisenden, die ihre Koffer hinaustrugen, mit einer Geste aufgehalten und gefragt, was in meinem Koffer sei. "Kleidung und Bücher", antwortete ich.

Diese Antwort überzeugte sie nicht, sie verlangten von mir, den Koffer zu öffnen. Einer von ihnen begann, ihn zu durchsuchen, zog dann einen bauchigen Gegenstand, der sich in einer schwarzen Plastiktüte befand, vom Grund des Koffers hervor und fragte, was das sei. Unwillkürlich erwiderte ich, dass ich es nicht wisse. In diesem Augenblick wusste ich wirklich nicht, was in dieser schwarzen Plastiktüte war. Er setzte ein triumphierendes Lächeln auf, wog das verdächtige Objekt in seinen Händen und fragte: "Wieso weißt du es nicht?"

Ich antwortete nicht, sondern half ihm stattdessen, den Knoten der Tüte zu lösen. Dann erschien die Ecke eines Keramikbechers, den ich in Zürich gekauft hatte. Wie ein ertappter Missetäter sagte ich eilig, dies sei nur ein Becher, und fügte, um ihn zu überzeugen, hinzu: "Meine Frau liebt Keramikbecher." Das drohende Unheil löste sich in Wohlgefallen auf. Vermutlich war all dies purer Zufall.

Schatten der Vergangenheit

Abgesehen von dieser kleinen Verstimmung gehören Ordnung und allgemeine Anzeichen von Wohlstand zu den ersten Dingen, die einen ankommenden Passagier wie mich in Deutschland beeindrucken. Man kann in die Vergangenheit zurückkehren, es gibt auch andere Bilder, hartnäckige Vorstellungen, eine kurze, uns allen gemeinsame Geschichte: Filme aus Hollywood!

Beleibte Bayern in Lederhosen mit Federn an den Hüten, Männer von schneidiger Statur mit preußischen Namen, Menschen mit glänzenden schwarzen Frisuren und dunklen Sonnenbrillen als Zeichen dafür, dass sie überzeugte Neonazis sind, die tiefe, gefühllose Stimmen haben, und plötzlich Militärs, die in der dunklen Atmosphäre der Lager brüllend sinnlose wie gefährliche Befehle erteilen; all dies sind die Bilder, die diese Filme von den Deutschen vermitteln. Jeder Neuankömmling muss sich zunächst mit diesen Vorstellungen auseinandersetzen, weil die Realität eine andere ist.

Von Frankfurt fahre ich direkt nach Köln, wo ich mich drei Wochen aufhalten werde. Eine Stadt mit einem hübschen Dom und seinem berühmten Eau de Cologne, in meinem Land der Gattungsbegriff für alle Duftwasser, die vorzugsweise Männer benutzen.

Bronzetäfelchen in Köln und Berlin

Die touristischen Attraktionen kann man rasch übergehen, insbesondere, weil die Informationsbroschüren für Touristen hinreichend über sie berichten. Was mich am meisten beschäftigt, sind kleine rechteckige Bronzetäfelchen, die sich auf den Gehsteigen vor einigen Gebäuden finden: hier befanden sich einst die Wohnorte der Juden, die dem Terror und Schrecken des Holocaust zum Opfer fielen.

Ja, man kann kein Land von seiner Vergangenheit trennen. Auch in Berlin begegne ich diesen Täfelchen. Die beiden folgenden Wochen verbringe ich in dieser Stadt. Berlin ist schön, weil es einen Fluss, Seen und Wälder besitzt. Außerdem führen meine Freunde mich zum großen Dom, zur Museumsinsel und zu einer Straße in Berlin Mitte, die die Menschen die Straße der Toleranz nennen (selbstverständlich heißt sie anders), weil in ihr die Juden, Katholiken und Protestanten jeweils eigene Einrichtungen besitzen. Die Freunde führen mich zur Humboldt-Universität, zur Besichtigung eines Teils der Berliner Mauer, die man als Mahnmal erhalten hat, zum Jüdischen Museum, nach Potsdam und Sanssouci, dem Schloss des letzten Königs von Deutschlands, zum Gefängnishaus, zur Ausstellung Topographie des Terrors ... Was mich jedoch fasziniert, ist der Wahnsinn dieser Großstadt. Die Großstädte – von Rom und Paris, Berlin und London bis hin nach Teheran und Kairo – beherrscht ein Wahn, der sich allenthalben in gleicher Weise äußert, und aus etwas besteht, woran es allen anderen Städten der Welt mangelt: lange, breite Boulevards und Alleen, Menschenmassen, unablässig fahrende Autos und Züge; Städte, die nie schlafen.

In jedem wichtigen Gebäude Deutschlands begegnest du einem Foto aus dem Jahr 1945, dem Abbild einer Ruine, das dem Besucher klarmachen soll, wie viel Zerstörung ein Krieg mit sich bringt, aber auch die Tatsache, dass es mehr Hände in der Welt gibt, die sich ans Bauen gewöhnt haben als ans Kämpfen.

Polizeigewalt hier wie da

Von Berlin ist es bis Teheran nicht weit. Am 2. Juni 1967 besuchen der iranische Schah und seine Gemahlin eine Aufführung von Mozarts Zauberflöte in der Berliner Oper. Außerhalb des Gebäudes herrscht Aufruhr, die Konföderation iranischer Studenten in Europa, der es gelungen ist, einen Teil der Berliner Bevölkerung zu mobilisieren, demonstriert gegen den Besuch des Schahs, der nicht nur mit Hilfe eines Putschs der Amerikaner an die Macht zurückgekehrt ist. Wenige Monate später hat er außerdem drei Studenten wegen ihres Vergehens, gegen den Besuch Richard Nixons, dem damaligen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, zu demonstrieren, auf dem Gelände der Universität Teheran von seiner Polizei erschießen lassen, und er fährt mit dieser Unterdrückung fort.

Die Berliner Polizei streckt, der Kontrolle der Demonstranten überdrüssig, einen deutschen Studenten nieder, und jetzt, vierzig Jahre danach, entdecke ich, genau gegenüber dem Operngebäude, den Gedenkstein für den getöteten Studenten Benno Ohnesorg und sehe Blumensträuße davor liegen. Sträuße von den Kombattanten jener Jahre und sogar vom Berliner Polizeipräsidenten.

Die Großstädte der Welt sind miteinander verbunden, selbst wenn eine davon Berlin ist und Teheran die andere!

Aus dem Persischen von Susanne Baghestani

Amir Hassan Cheheltan, 1956 in Teheran geboren, hat bisher sechs Romane und fünf Erzählbände veröffentlicht, unter anderem den Roman "Cut - Verbotene Zone!" Außerdem wurde kürzlich der Erzählungsband "Hilferuf am Stahlfenster" veröffentlicht, der schon einmal vor der islamischen Revolution erschienen war.