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Große und kleine Fische

21. Oktober 2009

Meja Mwangi ist einer der bekannten afrikanischen Autoren in Deutschland, vor allem wegen seiner komödiantischen Romane. Kürzlich hat der Kenianer einen Endzeitroman mit starken Bezügen zum ruandischen Genozid vorgelegt.

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Ein drastisches Buch über den Genozid in RuandaBild: AP

Der alte Mann sitzt in der Grube. Genauer: In der Scheiße. Der Scheiße seines verkorksten Lebens, das ihn einst mit höchsten Ämtern und Versprechungen auf eine immer währende, goldene Zukunft beglückt hatte. Der alte Mann hat keinen Namen, kein Zuhause, nur diese jämmerliche Hütte auf der Mülldeponie, die von ihren Bewohnern und den Menschen außerhalb der Deponie nur die Grube genannt wird. Der alte Mann ist blind – denn er will das Elend um sich herum nicht mehr sehen. Er schaut nach innen, er schaut zurück. Und sein Blick ist gnadenlos, ist scharf und weitsichtig.

Namenlose Täter, namenlose Opfer

Meja Mwangi
Meja MwangiBild: Fotograf: Arthur Scheidegger, Copyright Annemarie Friedli

Die Big Chiefs sind ebenfalls Namenlose, Austauschbare, Immergleiche. Sie sind die Verräter am Volke, die Gierigen, die Nimmersatten. Und sie sind diejenigen, die den Völkermord vorangetrieben, gewollt, ausgeführt haben. Sie plündern das Volk, und das Volk ist dumm genug, sich ausplündern zu lassen. Bei Meja Mwangi sind nicht die Weißen die Schuldigen oder unbekannte Mächte. Keine Hexen, keine Zauberer, sondern Polizeichefs, Generäle, Minister. Wie der alte Mann einer war. Er, der selber ein Tutsi ist und der die Vorbereitungen zum Völkermord mitgetragen hat, weil er an seinem Amt klebte, an seiner Macht, an seinem Geld. Er, der auch Arzt war und dann in der Klinik Zuflucht unter einem Leichenhaufen suchen musste, um nicht selbst erschlagen zu werden von seinen Hutu-Mördern, die einmal seine Kollegen und Freunde waren.

Die Menschen in Meja Mwangis "Big Chiefs" haben keine Namen, sie haben Titel und Funktionen. Wie der Student, der Ökonom, die junge Frau, der Junge. Sie alle leben in der Grube, haben verschiedene Schicksale, die sie alle zum gleichen Ziel führten. Jetzt aber etragen sie das Elend nicht länger. Der Junge und seine Freunde, auch der Student, planen einen Aufstand. Wollen in die Stadt ziehen. Wollen zeigen: Seht her, es geht nicht mehr. Wir werden nicht mehr wie die Ratten leben.

Ruanda als Hot Spot für menschliche Misere

Buchcover Big Chiefs von Meja Mwangi
Schonungslos, drastisch: Big Chiefs

Big Chiefs ist keine Chronologie des Völkermordes vor 15 Jahren in Ruanda. Mit seinem jetzt 11. Buch in deutscher Sprache ist Mwangi weit mehr gelungen. Es ist eine Generalabrechnung mit dem Versagen afrikanischer Eliten und der Schwäche afrikanischer Untertanen. Es ist auch ein Spiegel, der dem Westen vorhält, wie wenig er verstanden hat und wie viel weniger noch seine Solidaritätsversprechen in Zeiten der Not wert sind. Vor allem aber ist Big Chiefs ein Fanal gegen Gleichgültigkeit und Feigheit des Menschen gegenüber sich selbst. Hier ist der Mensch sein eigener Wolf. Am Ende ein Silberstreif, aber einer der rötlich schimmert wie ein Morgengrauen in Blut gebadet.

Mit Big Chiefs hat sich Meja Mwangi wieder einen Platz weiter nach oben geschrieben in der Liga der besten afrikanischen Schriftsteller. Besonders erstaunlich ist, wie überzeugend er in jedem Genre Zuhause ist, im Komödiantischen, im eher Actiongeladenen und jetzt wieder in der afrikanischen Tragödie. Mwangis Sprachstil ist eher amerikanisch, in starken, kontrastreichen Bildern. Wenn Mwangi über Scheiße schreibt, dann stinkt es auch. Und gerade das macht seine Bücher so unglaublich gut.

Autor: Dirk Bathe

Redaktion: Katrin Ogunsade

Big Chiefs von Meja Mwangi im Peter Hammer Verlag

Preis: 22 Euro
ISBN-10: 3779502313