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Iraks Arabischer Frühling

Interview: Karlos Zurutuza, Mosul /cb4. April 2013

Auch zehn Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins bleibt der Irak politisch instabil. Die Ursachen für aktuelle Konflikte findet der Politiker Atheel al Nujaifi, Gouverneur der Provinz Ninive, vor allem in der US-Besatzung.

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Eine anti-schiitische Demonstration im März 2013 in Mosul. (Foto: DW/ K. Zurutuza)
Bild: DW/K. Zurutuza

DW: Sie sind Ninives Gouverneur, aber Sie haben die Demonstrationen in Mosul, einer Stadt in Ihrer Provinz, offen unterstützt, und während der letzten drei Monate sogar mehrmals selber an ihnen teilgenommen. Ist das nicht kontraproduktiv?

Atheel al Nujaifi: Die lokale Bevölkerung verlangt ihre Rechte auf friedliche Weise. Sie wollen Grundlegendes wie Wasser, Elektrizität und auch Arbeit. Sie lehnen Gewalt ab und wollen eine aktive Rolle in Iraks Politik spielen. Es gibt ein offensichtliches Ungleichgewicht in der Machtverteilung unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Land seit der Invasion 2003. Heute werden die Sunniten durch die schiitische Regierung in Bagdad systematisch an den Rand gedrängt.

Präsident Nouri al-Maliki hat die "fremden Mächte" hinter den Demonstrationen in den Sunnitischen Provinzen des Landes verurteilt.

So eine Anschuldigung ist schwer zu glauben, wenn Hunderttausende friedlich auf die Straße gehen.

Viele sagen, dass der Irak wegen der Krise im Nachbarland Syrien und den wachsenden Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten vor einem neuen Krieg steht. Stimmen Sie dem zu?

Das irakische Volk ist bereit, den Syrern zu helfen, weil wir Cousins auf zwei Seiten einer Grenze sind. Trotzdem sind wir dagegen, dass Bagdad das syrische Regime unterstützt. Wir haben nichts gegen wirtschaftliche Unterstützung, aber wir lehnen es kategorisch ab, Präsident Bashar al-Assad dabei zu helfen, sein Volk umzubringen. Wir wissen, dass unser Volk sich in dieser Frage nicht einig ist, aber wir suchen hier keinen Konflikt. Anstatt einen Dialog zu erleichtern, schickt Bagdad militärische Einheiten, die ausschließlich aus Schiiten bestehen. Das ist völlig außerhalb des Rechtssystems. Ich denke zwar, dass wir in der jüngeren Vergangenheit schon schwerere Momente als diesen bewältigt haben, aber: Ja, wir wollen eine Veränderung in Bagdad. Die Regierung in Bagdad muss fallen, oder uns stehen noch schwierige Zeiten bevor.

Portrait Gouverneur Atheel al Nujaifi. (Foto: DW/ K. Zurutuza)
Al Nujaifi: "Macht Ungleichgewicht im Land"Bild: DW/K. Zurutuza

Kommunale Wahlen, die diesen April in den Provinzen al-Anbar und Ninive stattfinden sollten, wurden abgesagt. Warum hat Bagdad diese Entscheidung getroffen?

Al-Maliki weiß, dass er in diesen Gegenden überhaupt nicht beliebt ist, also wären die Ergebnisse ein deutlicher Beweis dafür, wie wenig Unterstützung er hier in der Bevölkerung hat. Ich bin sicher, dass die Demonstrationen wegen dieser Entscheidung zunehmen werden.

Die Beziehungen zwischen Ninive und der Autonomen Region Kurdistan (ARK) sind ebenfalls angespannt, hauptsächlich wegen der Gebiete, die sowohl Mosul als auch Erbil, die Hauptstadt der ARK, für sich beanspruchen. Aber Sie haben es letztes Jahr geschafft, kurdische Politiker nach einem dreijährigen Boykott in Ninive wieder zurück an die Arbeit zu bringen.

Beide Seiten wissen, dass es grundsätzlich größere Probleme gibt als die umstrittenen Gebiete, die unter Artikel 140 fallen; das ist der Artikel in der irakischen Verfassung, der sich mit dem endgültigen Status der umstrittenen Gebiete zwischen der zentralen Regierung und der Kurdistan Region beschäftigt.

Wir sind uns einig, dass es oberste Priorität hat, Demokratie ins ganze Land zu bringen. Wir akzeptieren heute die autonome Region der Kurden, und wir finden, dass wir auch so eine autonome Region verdienen. Die gesamte Verwaltung liegt zu zentralisiert in Bagdad, und wir stehen alle unter der Regierung der Schiiten. Der dritte Punkt der Vereinbarung zwischen der ARK und uns beschäftigt sich mit dem Anteil am Budget. Laut der irakischen Verfassung sollte Mosul elf Prozent des gesamten irakischen Budgets erhalten, aber es sind kaum mehr als zwei Prozent. Unser Anteil am Gas- und Ölprofit ist zu gering, das sehen die Kurden für sich genauso. Aber über Artikel 140 sind wir uns immer noch nicht einig.

Bagdad hat sie beschuldigt, "Ninive an die Kurden zu verkaufen", nachdem Sie mit der ARK und Exxon über Ölförderung in der Ninive Provinz gesprochen haben.

Die können sagen, was sie wollen. Al-Maliki hat sogar schon mehrmals versucht, mich abzusetzen, nachdem er mich zuvor beschuldigte, Geheimabkommen mit den Kurden unterzeichnet zu haben. Die Wahrheit ist, dass es kein unterzeichnetes Abkommen zwischen den Kurden und uns gibt, es ist einfach eine Frage von politischer Koordination. Das größte Paradoxon ist, dass Bagdad nach der ganzen Kontroverse schließlich selber ein Abkommen mit den Kurden geschlossen hat - und wir wurden außen vor gelassen. Die ARK hat beschlossen, die Sache allein zu klären, und Ninive hat heute keinerlei wirtschaftlichen Vorteil von dem Öl, das direkt unter unseren Füßen liegt.

Eine große Menschenmenge demonstriert. (Foto: DW/ K. Zurutuza)
Hunderttausende Sunniten protestieren gegen die schiitische RegierungBild: DW/K. Zurutuza

Mosul ist immer noch eine der gefährlichsten Gegenden im Irak. Ist die zweitgrößte Stadt des Landes noch immer ein Zufluchtsort für islamische Extremisten?

Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert, aber es gibt immer noch einige bewaffnete Zellen, die hier operieren, hauptsächlich Milizen mit Unterstützung aus Teheran. Nach der Invasion 2003 haben der Iran und Syrien einige Al-Kaida-Zellen in den sunnitischen Gebieten unterstützt, um die Sunniten loszuwerden, die beim Aufbau der Zivilgesellschaft helfen könnten. Vor dem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Anschläge in dieser Zeit in den sunnitischen Regionen stattfanden. Natürlich hat man hinterher uns die Schuld daran gegeben. Sogar die Amerikaner spielen hierbei eine Rolle, weil sie die Gegend 2004 in ein Schlachtfeld verwandelt haben. Sie befahlen der lokalen Polizei, die Stadt zu verlassen, und haben sie in den Händen von Al-Kaida gelassen, so dass sie sie dort bekämpfen konnten.

Aber im Gegensatz zu anderen sunnitischen Provinzen haben Sie es abgelehnt, den Awakening Councils beizutreten, der lokalen Miliz mit US-Unterstützung, die 2005 gegründet wurde, um Al-Kaida zu bekämpfen. Warum?

Die Menschen inMosul warenloyaler zum vorherigen Regime, und sie sahen diese Initiative als illegal an, also haben wir sie abgelehnt.

Selbst wenn interne Schwierigkeiten geklärt werden - kann der Irak allein bestehen, mit der ständigen Bedrohung einer Einmischung von Seiten des Irans, der Golfstaaten oder Washington?

Wir können uns dann selbst regieren, wenn ausländische Truppen keine direkte Macht im Irak haben. Das Problem liegt in dem fremden System, das die Amerikaner nach der Besetzung hier installiert haben. Ohne ausländische Truppen wären wir in der Lage, die Macht zwischen Arabern, Kurden und Schiiten aufzuteilen. Man könnte sogar sagen, dass Washington uns um unseren eigenen Arabischen Frühling gebracht hat.

Atheel al Nujaifi ist ein Führungsmitglied von Iraqiya - des größten Oppositionsblocks im irakischen Parlament - und der Gouverneur der Provinz Ninive.