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Ein Universalmuseum der Sonderklasse

18. August 2011

Die Vervielfältigung von Kunstwerken hat eine lange Tradition. Und sie lebt bis heute fort. Besonders hochwertige Repliken werden in der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin angefertigt.

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Replik der Büste von Nofretete (Foto: DW)
Bild: DW

Auf dem Pfosten neben der Toreinfahrt lauert eine blasse Sphinx. Ein grimmig dreinblickender, mächtiger Wettergott aus dem syrischen Tell Halaf beansprucht die dem Haus vorgelagerte Rasenfläche für sich, kritisch beäugt von allerlei Damen und Herren aus unterschiedlichsten Jahrhunderten, die im ersten Stock der backsteinverkleideten Gipsformerei durch die Fenster lugen.

Hier wird nämlich eifrig gesammelt: Kunstwerke aus dem alten Griechenland, aus Rom, Ägypten, aus dem Mittelalter und von Berliner Bildhauern sowie von anderen Kontinenten - aus Afrika, Asien und Amerika, quer durch die Gezeiten. Ein schöner Querschnitt durch die üppige Vielfalt, derer sich die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin rühmen dürfen.

Einzigartiger Bestand

Deshalb bezeichnet Miguel Helfrich, der Chef der Gipsformerei, sein Haus auch gerne als Universalmuseum. Dessen umfangreiche Bestände, nämlich rund 7000 Abformungen unterschiedlichster Originalkunstwerke, lagern dicht gedrängt und gut katalogisiert auf mehreren Etagen – in hohen Vitrinenschränken, tiefen Industrieregalen und selbst an den Wänden des Treppenhauses.

In der Werkstatt der Gipsformerei (Foto: DW)
In der Werkstatt der GipsformereiBild: DW

Jede einzelne Abformung wurde vom Original abgenommen. Sie zeigt also, so Atelierleiter Bertold Just, den Zustand des Originals bei der Abformung. Manch ein Kunstwerk ist später beschädigt worden, andere wurden im Krieg zerstört oder sind durch Umwelteinflüsse kaputt gegangen. Wie sie einmal aussahen, verrät nun nur noch die Abformung in der Gipsformerei. Und die kann durchaus schon recht alt sein.

Handwerk mit Tradition

Schließlich hat die Anfertigung von Repliken in Berlin eine rund 200 Jahre alte Tradition. Bereits Goethe und die Brüder Humboldt haben in der Gipsformerei eingekauft und ihre Wohnräume mit hochwertigen Nachbildungen bedeutender Kunstwerke geschmückt. Die entstehen noch heute in Handarbeit, in den Werkstätten in einem Obergeschoss der Gipsformerei. Feinster Alabastergips wird hier in Abformungen gegossen, die traditionell aus Silikon, Gelantine oder festem Material angefertigt werden.

Sobald der Abguss getrocknet ist, beginnt die Feinarbeit. Gussnähte oder kleine Risse müssen entfernt werden, bevor schließlich die Skulpturenmaler ihre Arbeit aufnehmen. Auf deren Leistung ist Miguel Helfrich sehr stolz, denn sie bauen zu jedem einzelnen Objekt eine Beziehung auf, wissen, wo es gestanden hat und wie lange es vielleicht unter der Erde verborgen war. Die Wunden der Zeit machen sie oberflächlich sichtbar. Und sie imitiieren so gut wie jedes Material, Bronze genauso wie Rosengranit oder Elfenbein.

Weltweite Anerkennung

Museen in aller Welt schätzen die hochwertige Arbeit der Berliner Werkstätten. Sie gehören zu den Kunden des Hauses und bestellen Reproduktionen besonders wertvoller Stücke aus den Sammlungen der Staatlichen Museen, die nicht ausgeliehen werden oder nur schwer zu transportieren wären. Aber auch Architekten, die Räume ausgestalten, ordern hier. Und immer mehr kunstsinnige Privatleute. Für sie bietet die Gipsformerei nun auf 100 Exemplare limitierte Sondereditionen an - einmal von einer nur noch im Modell vollständig erhaltenen Büste von Isabella von Aragon und dann von der legendären Nofretete.

Nofretete, originalgetreu

Für deren Replik, erzählt Bertold Just, wurde sogar eine neue Abformung mit 3D-Scannern angefertigt. Das ist eine Methode, die aus der Autoindustrie oder überhaupt aus der Industrie bekannt ist, sagt Bertold Just. Und dieser Prozess des Einscannens sei so exakt gewesen, "dass man die Dicke der Farbe, der Farbtupfer, der Pinselstriche, die Thutmose da aufgetragen hat, wirklich sehen kann“.

Bemalung der neuen Sonderedition der Nofretete (Foto: Gipsformerei, Staatliche Museen zu Berlin)
Bemalung der neuen Sonderedition der NofreteteBild: Gipsformerei, Staatliche Museen zu Berlin

Beste Voraussetzungen also für Skulpturenmalerin Anette Schulz, die den gipsernen Büsten nun das unverwechselbare Aussehen der Nofretete verleiht. Rund sieben Tage arbeitet sie an einem Exemplar, ergänzt Beschädigungen und imitiert historische Farbaufbauten. Eine besondere Herausforderung sei es dabei, die Lebendigkeit zu erreichen, die Nofretete ausstrahlt, sagt die ausgebildete Restauratorin. "Die wirkt ja so lebensnah! Und nicht nur einfach angemalt". Was natürlich auch an Nofretetes stolzem Alter liegt, an den 3500 wechselvollen Jahren, die sie miterlebt hat und die in ihrem Antlitz Spuren hinterlassen haben. Die Spuren des Alters werden ihr ebenso sorgsam aufgetragen wie Lidstrich und Augenbrauen. Der berühmte Blick der Nofretete, sagt Anette Schulz, der muss unbedingt stimmen!

Limitierte Sonderedition

Zehn der geplanten 100 Repliken hat Anette Schulz bereits fertig gestellt, sie alle sehen der originalen Büste der schönen Ägypterin täuschend ähnlich. Nur, dass sie eben aus Gips sind. Und darüber hinaus durchaus bezahlbar: 2900 Euro kostet ein Exemplar. Geliefert wird es in einer schmucken Transportkiste und inklusive eines Paars weißer Handschuhe. Damit man das Kunstwerk beim Auspacken ja nicht beschmutzt.

Autorin: Silke Bartlick

Redaktion: Gudrun Stegen