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Von einer Last befreit

Heinrich Bergstresser 24. Juni 2003

Belgien will sein umstrittenes Gesetz zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechern aus aller Welt nach massiven Drohungen aus Washington abschwächen. Heinrich Bergstresser kommentiert.

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Als das kleine Belgien vor zehn Jahren ein auf den ersten Blick scheinbar bahnbrechendes Gesetz zur Bekämpfung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verabschiedete, nahm die internationale Öffentlichkeit kaum Notiz davon. Und nur wenige erkannten damals die Brisanz des Gesetzes.

Denn die belgische Justiz konnte unter Berufung auf das "Weltrechtsprinzip" Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig davon verfolgen, wo und von wem sie begangen wurden. Das hieß im Klartext, dass sich nicht nur verbrecherische Diktatoren und mordende Warlords fürchten mussten, sich vielleicht eines Tages vor einem belgischen Gericht verantworten zu müssen, sondern auch demokratisch legitimierte Politiker wie George Bush Senior oder Ariel Scharon, gegen die ermittelt wurde.

So mutig die Belgier auch gewesen sein mögen, der weit verbreiteten Straflosigkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit entgegenzutreten, die Quadratur des Kreises ist trotz hoher moralischer Ansprüche auch im Recht - und das Völkerrecht gehört dazu - nicht möglich. Zwar schockierten die Gräueltaten auf dem Balkan und die zunehmende Rechtlosigkeit in vielen Staaten nach dem Ende des Kalten Krieges. Und der Internationale Strafgerichtshof galt noch als visionäres, zeitlich weit entferntes Projekt.

Dennoch ist das "Gesetz zur universellen Kompetenz" weit, sogar sehr weit über das angepeilte Ziel hinausgeschossen. Denn mit moralischen und politischen Kategorien allein lässt sich ein Gesetz nicht durchsetzen. Und die Berufung einer nationalen Justiz auf das "Weltrechtsprinzip" ist als Instrument unbrauchbar. Denn darauf könnte sich im Prinzip jedes Land aus den unterschiedlichsten Gründen berufen, was letztlich zu Beliebigkeit, Willkür und Chaos führen muss.

Die belgische Regierung hat die Notbremse gezogen. Nun wird das Gesetz nach einem kurzes Knall, ausgelöst durch markige Worte aus Washington, entsorgt. Wohl wissend, dass der einzig legitime Ort, dem Geist dieses Gesetzes wirklich Leben einzuhauchen, der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist. Daran müssen sich die nationalen Rechtssysteme orientieren und ihre Gesetze zur Bekämpfung von Genozid und vergleichbaren Verbrechen anpassen, wollen sie den weltweiten Auswüchsen von schwerem Unrecht und Straflosigkeit wirksam und glaubwürdig entgegentreten.

Belgien hat sich von einer Last befreit, die völkerrechtlich äußerst fragwürdig und politisch untragbar war. Diese Einsicht ist wesentlich älter als die jüngste Verbalattacke der USA, die nur den allerletzten Anstoß gab, den Universalanspruch der belgischen Justiz politisch zu beerdigen. Der belgischen Justiz bleibt dennoch auch zukünftig bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit genug zu tun.

Wenn Belgier Täter oder Opfer sind, oder ein Ausländer als Opfer mindestens drei Jahre in Belgien gelebt hat, muss die Justiz tätig werden. Wenn sie diesem Anspruch gerecht würde, wäre schon eine Menge erreicht, völkerrechtlich relevante Straftatsbestände zu ahnden und damit auch eine Vorbildfunktion für andere Staaten zu erfüllen .