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Von Menschen und Mixtapes

Marcus Bösch9. Juni 2003

Zum Geburtstag viel Glück – die Audiokassette wird 40. Vor dem engültigen "Aus" untersuchen Volkskundler das veraltete Speichermedium. Von legendären Autofahrkassetten und dem Kommunikationsmedium der Popkultur.

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Charme des UnperfektenBild: Stefan Malzkorn

"Benutzt ihr eigentlich noch Kassetten?", fragte mich Elke kürzlich. "Ähm, ja klar", antworteten wir. Ohne selbstaufgenommene Audiokassette hätten wir uns schließlich niemals kennengelernt. Es bedurfte einer fein ausgeklügelten Mixtur tropischer Sommerhits der frühen 1980er-Jahre, an den Haaren herbeigezogener Übergänge und zwei Händen voll subversiv-versteckter Textanspielungen bevor wir endlich mit dem Auto in die Nacht fuhren.

Und wieso Kassetten?

Ohne munter-collagiertes Cover, ohne handschriftlich angefügte Randnotizen – sprich: ohne die komplizierte Arbeit eines sehr langen Abends wäre es niemals zum Rendezvous gekommen. "Und wieso ausgerechnet Kassetten?", fragte Elke weiter: "Wieso festhalten an einem veralteten Speichermedium, das leiert und dröhnt?" Das fragen sich zum 40. Geburtstag der Kompaktkassette inzwischen auch die Marktführer der Branche. Ein paar Jahre geben Firmen wie TDK den 2,81 Millimeter breiten Bändern noch, dann soll Schluß sein.

Kassettengeschichten Band
Eine Ausstellung im Museum für Kommunikation Hamburg mit Portätfotos von Stefan Malzkorn 22. Mai bis 29. Juni 2003Bild: Stefan Malzkorn

Bevor legendäre Autofahrkassetten ("Autobahn"), grandiose Urlaubsmixtapes ("Sunshine Reggae") und krude Themen-Kassetten ("Schöne Mädchenvornamen im Titel") nun endgültig auf Dachböden und in Kellerräumen verschwinden, haben sich Volkskundler der Universität Hamburg erstmals wissenschaftlich dem Phänomen "Mixtapes" genähert. Herausgekommen ist dabei neben Erkenntnissen aus dem bisher noch unerforschten Bereich des Medienumgangs auch eine fulminante Ausstellung: "Kassettengeschichten. Von Menschen und ihren Mixtapes".

Soundtrack des Lebens

"Überrascht waren wir von dem riesigen Interesse am Thema", erzählt Ausstellungsleiter Gerrit Herlyn im Gespräch mit DW-WORLD. Fast 9000 Seiten Gesprächsnotizen, E-Mails und Briefe haben Herlyn und sein Kollege Thomas Overdick im Rahmen eines Universitätsseminars mit Studenten der Kulturgeschichte zusammengetragen und ausgewertet. "Das Thema Mixtapes eignet sich bestens dazu, persönliche Erinnerungen der 17- bis 45-jährigen zu reflektieren. Schließlich reden wir hier über das zentrale Kommunikationsmedium der Popkultur", sagt Herlyn.

Kassettengeschichten Raphaela
KassettenGeschichten Von Menschen und ihren Mixtapes Fachbereich Kulturgeschichte und Kulturkunde Institut für VolkskundeBild: Stefan Malzkorn

400 individuelle Original-Mixtapes, inklusive kreativer Covergestaltung bilden das Kernstück der Ausstellung im Hamburger Museum für Kommunikation. Zu Wort kommen langjährige Mischkassetten-Macherinnen und Macher wie die Studentin Raphaela (24) und Mediengestalter Ferenc (31), die Fotograf Stefan Malzkorn lebensgroß porträtiert hat. Ein umfassendes Begleitprogramm mit Popliteratur-Lesungen, Hörstationen und einer Mixtape-Tausch-Börse sollen den musealen Charakter der Ausstellung auflockern.

Klein, handlich und billig

Augenscheinlich findet die – 1963 erstmals auf der Berliner Funkausstellung präsentierte – "Kompaktkassette" auch noch in unserem Jahrtausend willige Nutzerinnen und Nutzer. Retro-Trend und 1980er-Nostalgie tun ein Übriges, um den "kleinen, handlichen und billigen" Musikträger in kulturellen Nischen am Leben zu erhalten. Neben Anleitungen für die perfekte Mixkassette strotzt das Internet nur so von Tauschbörsen, Mischkassetten-Radiosendungen und Veranstaltungshinweisen wie der Kassettentanke in Hamburg. Jeden Mittwochabend kann man dort die live aufgelegte Musik von 2 DJs mit bereitgestellten Tapedecks mitschneiden und neue Mixtapes basteln.

Ausstellung im Museum für Kommunikation Hamburg (bis 29. Juni 2003). Danach sind die Kassetten in Nürnberg und Frankfurt zu sehen.