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Von Nagel zu Nagel

22. September 2009

So sieht es aus, wenn Kunst verreist: Täglich werden etwa genauso viele Kunstwerke rund um den Globus geschickt, wie in Museen und Galerien stehen. Wie das geht? Das ist eine Kunst für sich.

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Jörg Oettermann und Andreas Blankenstein beladen den Kunsttransporter Bild: Matthias Mayr
Eine Kunst für sich: Das Transportieren von KunstwerkenBild: DW

Dutzende Transporter und Lastwagen rollen jeden Tag über deutsche Autobahnen, zwängen sich durch enge Gassen oder stehen im Stau. Im Laderaum, gut verpackt und festgezurrt: fragile Kunst. Einer, der weiß, wie man das empfindliche Kulturgut unbeschadet von A nach B bringt, ist Jörg Oettermann aus Köln. Seit 20 Jahren leitet er eine Firma für Kunsttransporte: "Ich habe mit so einem kleinen alten Mercedes-Transporter angefangen, einen Galeristen damals gefragt, ob er mir irgendwie ein paar Aufträge zuschanzen könnte. Das hat er auch netterweise gemacht und so wird man dann praktisch rumgereicht in der Szene."

Große und kleine Fische

Packmaterial Bild: Matthias Mayr
Packmaterial für die Kunst: Folie, Pappe, HolzBild: DW

Heute beliefern sieben Mitarbeiter mit vier Transportern Kunden in ganz Europa. Die Firma Oettermann transportiert vor allem kleinere und mittlere Formate: Leinwände bis zwei mal vier Meter, Skulpturen bis zu einer halben Tonne Gewicht. Spektakuläre Aufträge wie schwere antike Bronzefiguren oder witterungsempfindliche Wachsskulpturen überlässt Oettermann gerne der Konkurrenz. Dafür gibt es große Firmen, die mit Spezialfahrzeugen und klimatisierten Transportkisten jede Art von Kunst durch die ganze Welt bewegen. Sein Vorteil auf dem Markt ist ein anderer: "All die kleinen Unternehmen leben davon, dass die Kunden wissen, wer zu ihnen kommt, wenn sie bei uns anrufen. Die kennen uns und gehen dann Kaffee trinken, während wir arbeiten." Gerade im Umgang mit Kunstwerken zählt Vertrauen viel.

Wie rohe Eier

Die Verpackung von Kunst ist immer individuell und oft selbst ein kleines Kunstwerk. Denn Kunst kann man nicht in Umzugskartons stecken. Auch die Sicherheitsvorkehrungen sind um einiges höher. Bestimmte Oberflächen bedürfen spezieller Packfolien, manche Glasflächen müssen abgeklebt werden, Spezialgläser dürfen es wiederum nicht. Beim Verpacken im Auto darf kaum Druck auf Leinwände ausgeübt werden, Kantenschoner sind Pflicht. Um kleinste Verunreinigung auf der empfindlichen Ware zu vermeiden, sind Stoffhandschuhe Pflicht. "Da muss man schon Liebe zum Detail haben, Liebe zu den Colli. So nennen wir das Transportgut. Das musst du alles wie ein rohes Ei behandeln", fasst Andreas Blankenstein die Arbeit zusammen. Er ist selbst bildender Künstler und fährt nebenher für Oettermann Kunst durch die Lande. Für ihn ist es der perfekte Job, denn schließlich weiß ein Künstler, wie man Kunst anpackt.

Millionenwerte im Wagen


Oettermann vor seiner Firma Bild: Matthias Mayr
Andreas Oettermann: "Man wird dann praktisch rumgereicht"Bild: DW

Der hohe Wert von Kunst lässt sich nur über spezielle Zusatzversicherungen decken, die jeder Kunde auf Wunsch anfordern kann. Auch wenn Blankenstein mitunter Millionenwerte im Wagen transportiert, davon nervös machen lässt er sich nicht: "Im Rahmen der Sicherheitsroutine gibt man sich die größte Mühe. Wenn ein Unfall passieren sollte, dann ist letztlich die Sorge ums eigene Leben größer als um die Exponate." Als Fahrer kommt Blankenstein viel herum in Europa. Oft fährt er die Touren alleine. Körperlich kann die Arbeit sehr anstrengend sein, da man viel schleppt und oft auf den Knien verpackt. Dass kostet Kraft und Kondition. Stressig wird es, wenn ein Kunde eine Abholung bestellt und man erst vor Ort erfährt, dass die Kunst erst noch eigenhändig verpackt werden muss. So ist es jüngst Blankensteins Kollegen widerfahren, denen dann auch der gesamte Tourplan durcheinander geriet. "Verlorene Zeit kann man nicht mehr beim Fahren aufholen", sagt er.

Von Nagel zu Nagel


Die Kunsttransporteure erleben die Welt der Kunst hinter den Kulissen. Sei es auf Messen, zu denen sie noch vor den ganzen VIPs Zutritt erhalten oder in den Museen, die über die Hintereingänge angeliefert werden. So gelangen die Kunst-Verpacker in die verborgenen Lager- und Restaurationsstätten, die dem normalen Besucher verschlossen bleiben. Am spannendsten dürften aber die Besuche der Künstlerateliers sein. Dort holen die Transporteure die Kunst "frisch vom Erzeuger" ab. "Wir kommen den Arbeiten ja unglaublich nah. Wir dürfen sie sogar berühren und beim Verpacken anfassen. Wir nennen das 'von Nagel zu Nagel', wenn wir abhängen, verpacken, transportieren und wieder aufhängen. Es ist natürlich schon schön, zu sehen, wie ein Kunstwerk wandert", sagt Blankenstein.

Wie in einer Taxizentrale


Jörg Oettermann ist früher noch selbst gefahren. Jetzt konzentriert er sich ganz auf die Auftragsbeschaffung und die logistische Planung. Wie in einer Taxizentrale steht Oettermann mit seinen Fahrern in ständigem Kontakt. Über Mobilfunk besprechen sie kurzfristige Terminänderungen oder fügen zusätzliche Aufträge in die Tour ein - ein flexibles Unternehmen. Oettermann freut sich über die regelmäßigen Einladungen zu Eröffnungen und die Freundschaften zu einigen Künstlern, die sich durch seine Arbeit ergeben haben. Zur Frage, ob er sich auch privat viel mit Kunst beschäftige, lächelt er verschmitzt: "Na ja, sagen wir es mal so, ohne meine Arbeit wäre ich jetzt wohl noch ein viel größerer Kunstbanause."

Autor: Matthias Mayr

Redaktion: Elena Singer