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Von Normalität weit entfernt

Bettina Marx, Tel Aviv2. Februar 2005

Wenn Bundespräsident Horst Köhler am Mittwoch vor der Knesset spricht, wird er erst der zweite Bundespräsident sein, dem diese Ehre zuteil wird. Ein Zeichen für das besondere Verhältnis zwischen Deutschland und Israel.

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Horst Köhler bei seiner Rede vor der KnessetBild: AP

Ist das deutsch-israelische Verhältnis 40 Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern inzwischen "normal"? Nein, sagt Moshe Zimmermann, Historiker an der Hebärischen Universität von Jerusalem. Es sei auf beiden Seiten ziemlich schizophren. "Auf der einen Seite hat man immer die Geschichte im Hinterkopf und eine negative Einstellung und auf der anderen Seite hat man die Gegenwart irgendwo ganz vorn und da sind die Meinungen eher neutral, eher positiv."

Aus deutscher Sicht sei es schizophren auf eine andere Art und Weise. "Das Leben hat sich normalisiert", meint Zimmermann, "auch die Beziehungen zu Israel und trotzdem muss man immer darauf bestehen, dass man zu Israel besondere Beziehungen hat und das muss man immer betonen und beteuern."

Überraschenderweise aber haben die antisemitischen Vorfälle in Deutschland gerade in Israel wenig Aufsehen erregt. Der Zwischenfall im sächsischen Landtag, als die NPD während einer Gedenkstunde für die Opfer der Naziherrschaft und des Krieges sich einer Schweigeminute widersetzte und die Bombardierung Dresdens mit dem Holocaust gleichsetzte, fand in Israel keinerlei Beachtung.

Infantile Verhaltensmuster

In Deutschland dagegen ist es umgekehrt. Bei jedem antisemitischen oder fremdenfeindlichen Zwischenfall fragt man besorgt nach den israelischen Reaktionen. Der jüdische Staat wird als moralische Instanz angesehen. Moshe Zimmermann hat für diesen Reflex wenig Verständnis. "Meines Erachtens ist diese Reaktion zum Teil als infantil zu bezeichnen. Man braucht die Kindergärtnerin, die Bescheid gibt, was gut und was böse ist. Oder man muss einen Schiedsrichter haben. Und der Schiedsrichter ist in diesem Fall Israel. Das sind die Leute, die mit der 'Sache' eng verbunden sind", so Zimmermann. Das sei aber auf der anderen Seite ein Riesenerfolg der israelischen Politik. Israel habe sich nicht nur als Erbe, sondern als Alleinvertreter des Judentums angeboten und das habe man auch so angenommen. "Juden, das ist Israel, Holocaust, das ist Israel."

Der Journalist Gideon Levy teilt diese Einschätzung. Er geht sogar noch weiter. Es sei schade, dass sich Deutschland mit Kritik an der israelischen Politik so zurückhalte. Gerade die spezielle deutsche Verantwortung für Israel erlaube konstruktive Kritik an der israelischen Politik. "Ich glaube, wir sind erwachsen genug, um die Greuel von damals zu unterscheiden von legitimer Kritik heute. Ich bin bereit zu verstehen, dass die Deutschen aus emotionalen Gründen einen Schritt hinter den andern zurückbleiben. Aber das heißt nicht, dass Deutsche Israel nicht kritisieren dürfen. Warum nicht? Wenn Israel Gräuel anrichtet?"

Kritik an Israel weckt Emotionen

Gideon Levy ist in Israel höchst umstritten. Denn er schreibt über die Grausamkeiten des palästinensischen Alltags unter der israelischen Militärherrschaft. Seit 15 Jahren macht er das schon und wird deswegen in seiner Heimat als Nestbeschmutzer verunglimpft. Besonders übel nimmt man ihm, dass seine Artikel auch im Ausland erscheinen. Auch in Deutschland werden sie gelesen. Ausgerechnet im Land der Täter, werfen ihm seine Kritiker vor, ausgerechnet in Deutschland werde der jüdische Staat in einem ungünstigen Licht dargestellt. Doch Levy, dessen Vater selbst aus Deutschland stammt, lässt sich davon nicht beirren. Wer Israel liebe, müsse es auch kritisieren dürfen. Das gelte besonders für Deutschland, das Israel gegenüber Verantwortung trage.

Für den Schriftsteller David Grossmann ist das nicht so einfach. Seine Bücher werden in Deutschland zwar gern gelesen. Und auch seine durchaus kritischen politischen Essays, die mit der israelischen Regierung nicht zimperlich umgehen, stoßen bei seinen deutschen Lesern auf reges Interesse. Dennoch fällt es ihm schwer, die Vergangenheit zu vergessen. Er habe sich jahrelang geweigert, nach Deutschland zu fahren. "Ich fand es sehr schwer, die deutsche Sprache zu hören und als ich anfing, zu schreiben, da sagte ich mir, ich werde erst nach Deutschland fahren, wenn mein Name auf einem Buch steht", sagt der Schriftsteller. "Denn mit das schlimmste, was die Deutschen den Juden angetan haben war, dass sie ihnen ihre Namen genommen haben, ihre Individualität, ihre Kleider, ihre Geheimnisse, ihre Talente, alles, was den Menschen zum Individuum macht und das war für mich unerträglich." Erst als sein erster Roman in Deutschland erschien, "Das Lächeln des Lammes", sei er nach Deutschland gefahren. "Und ich war froh, dass ich es getan habe."