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Kein unbeschriebenes Blatt

7. Januar 2012

Kein unbeschriebenes Blatt

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Der evangelischer Pfarrer Gerhard Engelsberger, Dielheim
Bild: GEP/Engelsberger

Das neue Jahr ist kaum aufgeschlagen. Die Terminkalender haben noch Lücken. Nicht alles ist schon beschrieben. Nicht alles ist schon verplant. Verplant sein – keiner will das. Jede, jeder möchte ein Geheimnis wahren. Möchte, dass etwas offen bleibt.

Ist das schlimm, wenn einer alles über dich weiß? Sind das unangenehme Gefühle, wenn dich einer ganz und gar kennt? Das ist für mich keine moralische Frage, etwa danach, ob ich etwas zu verbergen hätte oder ob etwas nicht in Ordnung ist bei mir.

Es gibt ja auch Menschen, die nicht möchten, dass man weiß, dass sie sich freuen. Oder das sie traurig sind. Oder dass sie lieben. Oder dass sie Angst haben. Ist das schlimm, wenn einer alles über dich weiß? Sind das unangenehme Gefühle, wenn dich einer ganz und gar kennt?

Wenn du dich verlaufen hast, ist es gut für dich, wenn einer weiß, wohin du gegangen bist. Wenn du irgendwo vergessen wirst, auf einem Bahnsteig, auf einem Flughafen oder wo auch immer - dann ist es gut, wenn einer sagt: Halt, da fehlt doch noch jemand, der zu uns gehört.

In Psalm 139 lese ich: „Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“ Da ist von einem Gott die Rede, für den ich immer offen bin, - fast wie ein gläserner Mensch. Das möchtest du nicht? Das möchtest du nicht einmal, wenn es Gott ist?

Du möchtest dein Geheimnis schützen. Du möchtest nicht bloßgestellt sein, auch nicht vor Gott. Das ist dein gutes Recht. Das will auch Gott. Das ist die Würde des Menschen. Die Bibel sagt: Wir seien ein Ebenbild Gottes. Niemand soll uns in den Schmutz ziehen. Keiner soll uns fertig machen. Niemand soll uns entblößen. Keiner soll an den Pranger gestellt werden. Jeder hat die Liebe Gottes verdient. Jeder hat den Schutz Gottes verdient. Dafür garantiert Jesus mit seinem Leben.

Es geht nicht darum, dass Gott mit gespitztem Bleistift hinter einer Wolke sitzt und Striche macht, wie oft du am Tag lügst. Es geht nicht darum, dass Gott Spitzel auf dich ansetzt, die rauskriegen sollen, was du politisch denkst und mit welcher kleinen Lebenslüge man dich erpressen könnte zum Wohlverhalten. Das alles hat Jesus erlitten. Das alles hat Jesus bezahlt. Das alles trennt uns nicht von Gott. Das alles hat nichts mit dem Lebensraum zu tun. Das sind fehlgeleitete Fantasien leider auch mancher frommer Menschen in der Kirche gewesen. Wenn du wissen willst wie Gott ist, dann schau auf Jesus. Nicht einen hat er bloßgestellt. Nicht einen hat er lächerlich gemacht. Nicht einen hat er verraten oder verkauft. Nicht einen hat er gelinkt.

Sagen wir so: Wenn dich jemand lange lieb hat und du ihn lange lieb hast, dann brauchst du manchmal gar nichts mehr zu sagen. Ihr versteht euch stillschweigend. Ihr kennt euch gut. Ihr seht an den Augen, wie es dem anderen geht, an seiner Haltung, an seiner Gestik. Und die Bibel sagt: Gott ist der, der dich am längsten kennt, und von Anfang an bis heute, und morgen und in alle Ewigkeit lieb hat. Das ist ein gutes Gefühl. Da ist einer, vor dem du nicht zu spielen brauchst. Deine Geschichte kennt er besser als du. Er hat sie geschrieben. Du lebst sie. Er kennt sie und schreibt täglich an ihr weiter. Das Entscheidende ist, auch wenn du dein Leben einmal nicht so spielst, wie er es sich gedacht hat, Gott klappt das Buch deines Lebens nicht einfach verärgert zu und wirft es weg. Im Gegenteil, er schreibt umso engagierter an einem neuen Kapitel.