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Von Pfarrer Max Koranyi, Königswinter

10. Dezember 2011

“Driving Home for Christmas”

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Der evangelische Pfarrer Max Koranyi, Königswinter
Bild: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP)

Jedes Weihnachtsfest fahren Joseph und Maria nach Hause. Auf der überfüllten Fernstraße von Nazareth bis Abzweig Bethlehem, „Haus des Brotes“. Sie brauchen diesen Stallgeruch. Nur dort kann man das haben, was sich seit Generationen, aus uralten Tagen sozusagen, zum Christfest an Familientraditionen angesammelt hat. Bis zum alten Vater Isai muss man da zurückgehen. Der hat schon seinen Sohn David auf den Hügeln vor Bethlehem zum Schafehüten ausgeschickt. Dort, unter freiem Himmel, kommt es dann zum ersten Weihnachtswunder: Dieser Hirte wird vom Propheten Samuel zum König gesalbt. Später fügt ein Prophet den Weihnachtsvers an: „Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ Und so wird David nach hinten, in die Vergangenheit über 14 Generationen mit Abraham verbunden, dem heimlichen Urvater alles Segens; nach vorne aber in 28 Generationen mit dem Kind im Stall, Jesus, der erfüllten Seligkeit. Wiederum von Schafhirten umlagert.

Verständlich, dass die wahre Heimat von Josef und Maria Bethlehem ist, warme Brotstube erfüllten Lebens. Und dies auch immer bleiben wird. Denn nur dort bekommen sie nämlich Jahr für Jahr wirklich all das, was sie zum wahren Weihnachtsfest brauchen: Ein Kindergesicht, Wärme, Lieder, freundliche Besuche, liebevolle Geschenke, erbauliche Geschichten und - eine heiße Suppe.

Europcar, eine Firma, die Autos vermietet, hat eine Studie in Auftrag gegeben: „Fährst du Weihnachten nach Hause?“ Mehr als der Hälfte aller Bundesbürger sagt gegenwärtig: „Ja“. Übrigens mehr Männer als Frauen. Bei den 18 bis 29-Jährigen lässt sich sogar von einem „Weihnachts-Hopping“ sprechen: Denn bei mehr als 30 Prozent der Befragten hat die Rundreise über die Feiertage sogar drei oder mehr Stationen. Wiederum die deutliche Mehrheit davon fährt dabei mit dem Auto. Europcar freut’s.

Wohl gab es eine Zeit in den 60ern, 70ern, da floh das junge Volk eher die Enge der Elternhäuser. Den Mief bürgerlicher Konventionen. Die sinnlose Geschenkerei. Die scheinbar überlebten Rituale des Weihnachtsfestes. Nicht ohne Grund wurde gerade auch in dieser Zeit mit großem Erfolg im Hamburger Ohnesorgtheater das Volksstück aufgelegt: „Wer nimmt Oma?“ In individualisierten Kleinfamilien, die Solidarität der Sippe längst verschwunden, will sich keiner mehr die Oma unter den Baum setzen lassen. Jetzt fuhr man lieber in die Disco, kochte asiatisch oder feierte völlig unweihnachtlich eine Party in Berlin.

Inzwischen aber haben sich die modernen Nomaden besonnen. Und verspüren mit Joseph und Maria: Eigentlich ist Weihnachten dort am Schönsten, wo es einmal Heimat gab. In aristokratischeren Zeiten sprach man vom „Familiensitz“. Natürlich hat man selber inzwischen ein neues Zuhause gefunden. Aber eignet es sich wirklich schon zur Weihnachtsheimat? Ist der wahre Stallgeruch nicht mit Mutters Plätzchen, den Holzfiguren am Baum, dem Gang zur Christmette, dem witzigen Geschenkeauspacken verbunden? Und braucht man gerade dazu nicht auch wieder die Oma, die die Gans noch richtig zu braten versteht, wenn Letztere jetzt auch vom Biobauernhof stammt? Gerade für solche, die sich jedes dritte Jahr in einer neuen Stadt ein neues Projekt in einem neuen Job mit einer neuen Lebensabschnittspartnerin suchen müssen? Irgendetwas muss doch sicher sein. Stabil. Ewig.

„Driving Home for Christmas“. Zum Ort der Erinnerung. Des Versorgtwerdens. Des Bleibenden. Des Vertrauten. Chris Rea, der diesen Song auf seiner Fahrt zum Fest verfasst hat, schreibt in einer Strophe: „Schau Dir den Mann im Auto neben mir an, er ist wie ich.“ Alle also doch irgendwie unterwegs nach Bethlehem, ins „Brothaus“, das Leib und Seele wirklich satt zu machen versteht. Wie Joseph. Wie Maria. Wie Du - auf der Fahrt ins heimatliche Weihnachtsglück.