1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Von Sr. Dr. Aurelia Spendel OP, Augsburg

19. November 2011

An ein Ende kommen. Der Evangelientext des heutigen Sonntags beschäftigt sich mit dem Zuendeführen und mit dem, was das Zuendeführen voran bringen kann.

https://p.dw.com/p/Rww8
Schwester Aurelia Spendel, Dominikanerinnenkloster Augsburg
Bild: Aurelia Spendel

Liebe Hörerinnen und Hörer,

an manchen Tagen schaue ich auf meinen Schreibtisch oder in den Kalender und denke: So geht das nicht weiter. Da liegt viel zu viel, was ich begonnen, aber nicht zu Ende geführt habe. Es macht mich nervös, wenn ein Manuskript zwar ganz gut gediehen ist, aber der letzte Abschnitt immer noch fehlt; wenn ein Projekt nur in seinen Überschriften existiert, ohne die dazu gehörenden Absprachen und Details. Es regt mich auf, wenn mein Hibiskus dringend umgepflanzt werden muss, die frische Blumenerde schon gekauft ist, der Topf aber seit Wochen still vor sich hin döst und es mir einfach nicht gelingen will, ihm endlich eine neue Lebensgrundlage zu verpassen. Immer wieder beschämt es mich, wenn ich sehe, wie sich das Halbe als Halbherziges in den Ecken meiner Zeit und meiner Räume herumdrückt und nichts Ganzes werden will.

Dieses Gefühl des Ungenügens und die Erfahrungen des Nicht-zu-Ende-Führens teile ich zu meinem Erstaunen mit einer ganzen Reihe anderer Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Dabei sind weder sie noch ich sind so erzogen worden, dass uns ein zwanghaftes Leistungsdenken unterjochte. Bei der einen oder dem anderen gibt es ein bisschen zu viel Perfektionismus, das aber nicht als erdrückende Last, sondern höchstens als Antrieb, etwas besonders gut zu machen. Im Gegenteil: Im Grunde haben wir Freude daran zu erleben, wie etwas Neues und Ganzes aus vorsichtigen Anfängen wächst, um zu seiner ureigenen Gestalt zu finden.

Ich ärgere mich und denke darüber nach, woran es liegen könnte, dass Projekte, Aufgaben, manchmal auch Beziehungen oder mein spirituelles Leben so zäh und uninspiriert vor sich dahindämmern. Ich suche nach Wegen, den Fallstricken des Beginnens, aber nicht Vollendens zu entgehen.

Der Evangelientext des heutigen Sonntags, der in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird, hilft mir dabei. Er beschäftigt sich mit dem Zuendeführen und mit dem, was das Zuendeführen voran bringen kann. Auch wenn es ein sperriges Evangelium ist, weil es vom Letzten Weltgericht erzählt, möchte ich es im Bilderkanon meines Glaubens nicht missen. Denn es spricht davon, dass sich unter der Oberfläche der Dinge etwas verbirgt, was entdeckt werden will, sollen mich ihre tiefsten und wahren Dimensionen berühren und motivieren.

Da ist die Rede vom Weltenherrscher, der das Verhalten von Menschen buchstäblich hinterfragt, die Gutes oder Böses getan haben, ohne zu ahnen, wem sie Gutes oder Böses taten. Sie taten es einfach nur, weil sie es so und nicht anders tun wollten. Erst bei der letzten Möglichkeit des Gerichtes als dem Augenblick des endgültigen Erkennens gehen ihnen die Augen auf und sie sehen, dass im Letzten alles mit Gott zu tun hat. Er ist der Geringste und er ist der Bedürftige, dem sie sich zuwenden oder dem sie sich verweigern.

Kann es also sein, dass ich hinter den alltäglichen Aufgaben das nicht sehe, was wirklich dahinter steckt? Dass ich darin weder die Chance noch den Aufruf sehe, am Reich Gottes mitzuarbeiten? Dass ich übersehe, wie mir die Alltäglichkeit meines Lebens die Sicht darauf verstellt, wie und wo Gott da ist mit seiner Bitte, das konsequent zu Ende zu führen, was er mir aufgetragen hat?

Gott vollendet, was er begonnen hat. Er belässt es nicht bei unvollständigen Anfängen. Er führt das zu Ende, dem er einen Anfang gab. Gott schaut hin, fragt nach, deckt auf, was hinter den Dingen steckt, die unser Leben ausmachen. Auch das kann Gericht sein und Gericht heißen.

Wenn mich also das nächste Mal Kraftlosigkeit und Lustlosigkeit befallen, wenn auf meinem Schreibtisch etwas endlos liegen bleibt oder etwas in meinen Aufgaben und Beziehungen trostlos vor sich hin dümpelt, werde ich fragen: Steckst du, Gott, hinter dem, was ich unerledigt lasse? Und wenn es so ist, dass Staubputzen und Briefe schreiben, beten und arbeiten, den Müll hinaustragen und Menschen trösten etwas mit dem Kommen des Reiches Gottes zu tun haben, dann werde ich das alles versuchen zu vollenden. Gott ist dafür wahrhaftig ein blendendes Vorbild.

So wünsche ich Ihnen einen vollendeten Sonntag.