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G20 Chronik

1. November 2011

Drei Jahre nach dem ersten Weltfinanzgipfel von Washington treffen sich die G20 zum sechsten Mal, diesmal in Cannes. Die Lage ist mindestens so ernst wie damals.

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Logo der G20

Das Ambiente ist dem Ernst der Lage nicht angemessen: Cannes, wo sich die Reichen und Schönen treffen, wo Glanz und Glamour Alltag sind. Aber der Gastgeber, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, hat sich nun einmal für den noblen Ort an der Cote d´Azur entschieden. Wo sich sonst Stars und Sternchen alljährlich zum Internationalen Filmfestival treffen, kommen am 3. und 4. November die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zusammen.

Es ist der sechste Gipfel dieser Art seit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers vor drei Jahren. Der Zusammenbruch des Weltfinanzsystems musste verhindert werden. Eine neue Architektur sollte her. Jetzt in Cannes wollte man eigentlich Bilanz ziehen – doch daraus wird nichts: Erneut müssen die G20 Krisenfeuerwehr spielen. Wie damals in Washington.

G20-Gipfel in Washington (Foto: AP)
Verhandlungstisch der Weltenretter: G20-Gipfel in WashingtonBild: AP

In der Not geboren

Es ist der 15. November 2008. Exakt zwei Monate zuvor hatte die US-Hypothekenkrise mit der Pleite der Lehman-Bank ihren Höhepunkt erlebt. Die Schockwellen rauschen rund um den Globus, die Finanzwelt blickt in den Abgrund. Es brennt lichterloh. Hilfe soll ein Gipfeltreffen der zwanzig führenden Industrie- und Schwellenländer bringen: Im National Building Museum von Washington D.C. soll die Kernschmelze des Finanzsystems verhindert werden. Die G20 existiert zwar damals schon, bis dahin aber nur auf der Ebene der Finanzminister und Notenbankchefs. Jetzt kommen die Staats- und Regierungschefs dazu. Die pure Not bringt sie zusammen. "Es geht darum, dass alle Marktteilnehmer, alle Produkte und alle Märkte wirklich reguliert oder überwacht werden", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel damals.

Der große Plan

Kanzlerin Merkel auf dem G20-Gipfel in London (Foto: AP)
Große Pläne wurden beim Gipfel in London verkündetBild: AP

In Washington wird ein Paket von rund 50 Maßnahmen beschlossen, das möglichst zügig umgesetzt werden soll. Ein halbes Jahr später, Anfang April 2009, findet in London der nächste Gipfel statt. Verabschiedet wird ein "G20-Aktionsplan für Aufschwung und Reform". Dem Finanzsystem sollen Zügel angelegt werden. Steueroasen werden auf einer schwarzen Liste gebrandmarkt. Gordon Brown, damals britischer Premier spricht geradezu pathetisch vom "Tag, an dem die Welt zusammen kam, um gegen die globale Rezession zurückzuschlagen. Nicht mit Worten, sondern mit einem Plan für einen weltweiten Aufschwung und für Reformen."

Nächste Station Pittsburgh

Angela Merkel und Barack Obama in Pitttsburgh beim G20-Gipfel (Foto: AP)
Gute Laune für die Kameras: Angela Merkel und Barack Obama in PitttsburghBild: AP

Wieder ein halbes Jahr später, Ende September 2009, ist US-Präsident Barack Obama Gastgeber des nächsten G20-Gipfels. Er hat nach Pittsburgh geladen, in die einstige Stahl-Metropole. Man kommt ein Stück voran bei der Regulierung der Finanzmärkte, stattet den Internationalen Währungsfonds mit mehr Geld aus, die Schwellenländer bekommen mehr Gewicht im IWF. Obama, damals gerade acht Monate im Amt, verzeichnet "mehrere beachtliche Schritte", die man voran gekommen sei. "Wir haben die Weltwirtschaft vor dem Abgrund bewahrt. Wir haben heute das Fundament gelegt für lang anhaltenden Wohlstand."

Dynamik erlahmt

Proteste beim G20-Gipfel in Toronto (Foto: AP)
Proteste wie hier in Toronto begleiten die G20-GipfelBild: AP

Auch im Jahr 2010 gibt es zwei Gipfeltreffen, eines Ende Juni in Toronto, der kanadischen Metropole, das zweite Mitte November in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Dennoch scheint die Dynamik der Weltenretter erlahmt: Die Weltwirtschaft hat sich gefangen, Deutschland beispielsweise hat seine schwere Rezession schnell überwunden und glänzt wieder mit guten Wachstumsraten. Das aber sorgt für Streit über das richtige Wirtschaftsmodell. Mehr Sparen oder lieber mehr Konjunkturprogramme? In Toronto setzt sich die Bundeskanzlerin durch – die Industrieländer beschließen eine Halbierung ihrer Defizite bis 2013. Angela Merkel scheint selbst überrascht. "Das ist sehr anspruchsvoll – und ehrlich gesagt ist es mehr, als ich erwartet habe", sagt sie auf der abschließenden Presskonferenz.

Zwar kommt auch die Reform der Finanzmärkte voran, doch die mächtige Bankenlobby verhindert in den USA wie in Europa eine allzu strenge Regulierung. Und die wichtigste Frage bleibt ungelöst, bis heute übrigens: Wie kann man verhindern, dass eine Bank so groß wird, das sie im Pleitefall den Rest der Finanzwelt mit in den Abgrund reißt? Im Gegenteil: Wer die Krise überlebt hat, ist heute größer als in der Vor-Lehman-Zeit.

G20-Gipfel Seoul 2010 (Foto: DW/Böhme)
Der Gipfel in Seoul war von Differenzen zwischen den USA und Deutschland geprägtBild: DW

Zukunft der Euro-Zone auf dem Spiel

Dennoch ist Angela Merkel in Seoul, beim ersten G20-Gipfel in einem Schwellenland, sicher, vieles besser gemacht zu haben, als die Regierungen vor acht Jahrzehnten bei der großen Weltwirtschaftswirtschaftskrise. Man habe einen Ordnungsrahmen geschaffen, Konjunkturpakete aufgelegt und nicht zu früh begonnen, zu sparen. "Und jetzt kommt es darauf an, dass wir nicht den dritten Fehler wiederholen, der damals gemacht wurde: Nämlich in Protektionismus zu verfallen."

Doch es kommt anders. Protektionismus ist nicht das Problem. Die Probleme heißen Griechenland, Portugal, Irland, auch Spanien und gar Italien. Das böse Wort von der Staatspleite macht die Runde. Rettungsschirme werden aufgespannt und hektisch vergrößert. Die Schuldenkrise entfaltet ihre verheerende Wirkung. Eigentlich sollte es in Cannes um die Reform des Weltwährungssystems gehen, und Präsident Nicolas Sarkozy wollte den Rohstoff-Spekulanten das Handwerk legen. Doch daraus wird nichts. Es steht Größeres auf dem Spiel.

Die Fragen heißen auch nach den jüngsten Beschlüssen der Europäer: Überlebt die Euro-Zone? Und: Hat G20 überhaupt eine Zukunft? 

Autor: Henrik Böhme
Redaktion: Zhang Danhong