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Von wegen Kultur kürzen!

Cornelia Rabitz6. April 2012

Rund achtzig feste Opernensembles gibt es in Deutschland. Ein einmaliger kultureller Reichtum. Kann man die alle besuchen? Ja! Eine Entdeckungsreise durch die Provinz. Und ein Lesespaß.

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Das Schauspielhaus Chemnitz (Foto: picture alliance/ZB)
Bild: picture alliance/ZB

Die einen diskutieren öffentlich über einen "Kulturinfarkt", über notwendige oder überflüssige Sparmaßnahmen bei Theatern und Museen. Andere schauen sich lieber an, was die deutsche Kulturlandschaft so zu bieten hat. Der Journalist Ralph Bollmann hat sich ausgiebig und buchstäblich über Jahre hinweg dem Musiktheater verschrieben und in einer Art Selbstversuch fast alle Opernhäuser Deutschlands besucht. Nicht nur die großen Bühnen in den Metropolen – im Gegenteil: Gerade die Opernprovinz hat ihn in den Bann gezogen.

Fürsten, Mäzene

Dabei entdeckte er Erstaunliches: Den Mut auch kleiner Bühnen zu komplexen Produktionen. Und die nicht nachlassende Begeisterung des Publikums. Denn entgegen allen Unkenrufen, "Fidelio" oder "Aida" seien nur etwas fürs elitäre Bürgertum, sind die Säle voll. Rund zehn Millionen Menschen strömen Jahr für Jahr in die Musiktheater zu Opern, Operetten, Musicals. Das sind so viele, wie es Bundesliga-Anhänger gibt.

Oper an der Ostsee - Die deutsche Opernvielfalt in der Provinz

Die Vielfalt der Theater zwischen Flensburg und Passau, Krefeld und Chemnitz ist ein historisches Erbe. Fast die Hälfte der deutschen Opernhäuser sind ehemalige Hoftheater, gegründet und gestiftet von kleinen oder großen Potentaten zu deren eigenem höheren Ruhm. Die Häuser gesellten sich zu herrschaftlichen Schlössern, kostbaren Gemäldesammlungen und Bibliotheken und waren Ausweis fürstlicher Prunksucht. Erst im 19. Jahrhundert traten Bildungsbürger und Kaufleute auf den Plan, gründeten die so genannten Stadttheater, und es entwickelte sich das, was bis heute typisch für die deutsche Kulturlandschaft ist: ihre Farbigkeit, aber auch eine Art modernes Mäzenatentum.

Das weltweit einmalige Netz von Stadt- und Staatstheater wird in Deutschland durch Bundesländer und Kommunen finanziert. Dass die Oper, wie gern behauptet wird, alle politischen Systeme überlebt, stimmt allerdings nur bedingt. In der früheren DDR zum Beispiel wurden Mehrspartenhäuser auch von der sowjetischen Besatzungsmacht gegründet – doch "mit dem Kommunismus kamen sie, und mit ihm gingen sie", schreibt Autor Bollmann. Es mangelte an Identifikation und Geld.

Gagen und Geldgeber

Das liebe Geld spielt denn auch beim Musiktheater eine wichtige Rolle. Natürlich floss und fließt es nicht überall reichlich. In vielen Kommunen sind die Ressourcen knapp. Gerade im Osten Deutschlands gibt es deprimierende Abwärtsentwicklungen. Da engagiert man, um Gagen zu sparen, gelegentlich lieber Schauspieler, die ein bisschen singen können, als veritable Opernprofis. Da geht das Orchester nach einem Blick in den fast leeren Saal wieder nach Hause. Da wird das Theater an den Stadtrand verbannt, in Behelfsbauten oder trübe Säle. Da müssen Häuser fusionieren oder werden ganz geschlossen. Und ganz abseits der großen Schlagzeilen spielt sich in der Provinz auch ein Kulturkampf ab, wenn nämlich Theater subversiv und politisch wird und damit missliebig für örtliche Neonazi-Gruppen, die auch vor Überfällen auf beteiligte Künstler nicht zurückschrecken. Es geht aber auch anders: prunkvolle Zuschauerräume, schnöseliges, wohlhabendes Publikum. Oder einfach die Theaterenthusiasten, die "ihre" städtischen Bühnen unterstützen und am Leben halten wollen.

Walküre in Bayreuth 2003(Foto: Bayreuther Festspiele/Jochen Quast/dpa)
Provinzstadt als Wagner-Metropole: Walküre in Bayreuth 2003Bild: Bayreuther Festspiele/Jochen Quast/dpa

Trockene Brezeln

Die Pausenverpflegung lässt allerdings vielfach zu wünschen übrig: abgestandener, süßer Sekt und trockene Brezeln. Da blickt Autor Bollmann mit Neid auf die kulinarischen Highlights in den Foyers in London oder Mailand. Doch vor allem hat er mit seinem unterhaltsamen und informativen Buch eines klar gemacht: Auch wenn es aus dem Orchestergraben mal dünn und kratzig klingt, wenn überforderte Sängerinnen und Sänger gelegentlich mit den Herausforderungen ihrer Partien kämpfen - auf Deutschlands Opernbühnen kann man vieles entdecken. Und sehr viel wunderbare Musik kennen lernen. Dort, wo Theater eben nicht einfach Provinz ist, sondern wo "jeden Abend ein kleines Wunder geschieht".

Informationen zum Buch:
Ralph Bollmann: „Walküre in Detmold“, Verlag Klett-Cotta, 284 Seiten, € 19,95, ISBN 978-3-608-94621-5

Buchcover 'Walküre in Detmold', Copyright: Verlag Klett-Cotta
Bollmanns BuchBild: Verlag Klett-Cotta