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Vor der größeren Aufgabe

14. April 2003

Mit Saddams Heimat-Stadt Tikrit ist nun auch die letzte Bastion des Baath-Regimes gefallen. Die politischen Ziele der USA im Irak dürften schwerer zu erreichen sein als der militärische Sieg, meint Peter Philipp.

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Mit Tikrit ist die letzte größere Stadt des Irak gefallen. Ihr kommt besondere Bedeutung zu, weil Saddam Hussein aus ihrer Nachbarschaft stammt und der harte Kern seines Regimes von hier rekrutiert wurde.

Die Amerikaner hatten sich Tikrit vielleicht auch deswegen bis zuletzt aufgespart, weil sie befürchteten, dass es hier - im Gegensatz zu anderen Städten - besonders erbitterten Widerstand geben könnte. Aber Tikrit fiel - und das ähnlich problemlos wie die anderen Städte zuvor: Die eigentlich gefürchtete "Republikanische Garde" hatte sich aufgelöst und Tikrit verlassen. Widerstand kam in erster Linie von Milizen und versprengten kleinen Gruppen.

Der Krieg hat damit wohl das Ende der entscheidenden Phase erreicht. Amerikaner und Briten kontrollieren die wichtigsten Teile des Landes, das Regime existiert nicht mehr - und nur die immer wieder selbst in Bagdad ausbrechenden kleineren Scharmützel hindern Washington wohl daran, den Sieg und das Ende des Krieges zu verkünden. Ein militärischer Sieg ist es freilich allemal. Aber daran hatte ja eigentlich kaum jemand gezweifelt. Selbst wenn die Schnelligkeit dieses Sieges dann doch überraschte. Ganz offenbar hatte man die Stärke der irakischen Armee und auch des irakischen Regimes überschätzt.

Von solch einem militärischen zu einem politischen Sieg zu gelangen könnte sich nun zu einem ähnlich riskanten Unterfangen entwickeln. Die Tage des Chaos, der Plünderungen und Zerstörungen in Bagdad und anderen irakischen Städten werden zu Ende gehen - weil inzwischen Polizei rekrutiert wird und es auch nichts mehr zu plündern gibt.

Der politische Neuanfang aber wird nicht Tage in Anspruch nehmen, er wird lange dauern. Und die militärischen Sieger von heute müssen auf der Hut sein, nicht zu den politischen Verlierern des Versuches zu werden, aus dem Irak einen wenigstens einigermaßen demokratischen Staat zu machen.

Sie müssen einen großen Spagat machen: Besatzer und Verfolger der Reste des Saddam-Regimes auf der einen Seite, Initiatoren einer neuen politischen Ordnung auf der anderen Seite. Bei den engen Beziehungen zwischen George W. Bush und der israelischen Regierung dürfte im Weißen Haus das Risiko bekannt sein: Israel dachte 1967, es könne die besetzten Gebiete bald gegen Frieden eintauschen. Aber 36 Jahre später scheint es heute weiter davon entfernt als damals.

So unterschiedlich die beiden Fälle sein mögen, eine Lehre lässt sich aus Israels Kriegserfahrung 1967 gewiss ziehen: Ein Abzug ohne neue Ordnung käme einer Niederlage gleich, ein Verbleiben aber wäre Besatzung. Und Besatzung auf Dauer kann nur neuen Hass und neue Probleme produzieren. Und: Im Fall des Irak kann man wohl auf Beamte und auf Polizisten des bisherigen Regimes zurückgreifen, nicht aber auf Politiker. Sie sind entweder tot oder geflohen, abgetaucht oder aus amerikanischer Sicht inakzeptabel. Und die irakischen Exilpolitiker wirken mehr als Marionetten denn als Alternative.

Washington dürfte bald einsehen oder doch ahnen, dass die jetzt vor ihm stehende Aufgabe größer und schwieriger ist, als der Krieg es war.