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Vor zehn Jahren starb Ungarns Ministerpräsident Jozsef Antall

17. Dezember 2003

– Sein Vermächtnis ist Vorbild und Mahnung

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Budapest, 17.12.2003, PESTER LLOYD, deutsch

Vor zehn Jahren, am 12.12.1993, verstarb József Antall, der erste frei gewählte Ministerpräsident des neugeborenen Ungarn. Er war der 1932 geborene Sohn eines hohen Beamten des Innenministeriums gleichen Namens. Der ältere Antall blieb als einer der Retter Zehntausender Polen in Erinnerung, die nach dem deutschen Überfall nach Ungarn flüchteten.

Antall sen. war Anhänger der Kleinlandwirtepartei (FKGP) und ein Gegner Hitler-Deutschlands. In der kurzen Zeit der Quasi-Demokratie nach dem Krieg wurde er Minister, zog sich später aber aus dem politischen Leben zurück. Sein Sohn studierte in Budapest unter anderem Geschichte und wurde Mittelschullehrer. Für seine Rolle in und nach 1956 musste er aus diesem Beruf jedoch ausscheiden. Er wirkte dann als Medizinhistoriker und wurde zuletzt Direktor des einschlägigen kleinen Forschungsinstituts für Medizingeschichte. Antall verhehlte nie, dass er – trotz seiner Überzeugung – nicht am offenen Widerstand gegen das kommunistische Regime teilnahm. Er hegte aber die Hoffnung auf die Freiheit des Landes und bereitete sich in Form von weiteren Studien vor, an dessen Führung teilzunehmen.

Als das eintraf, was nur wenige zu hoffen wagten, war Antall 57. In der Wendezeit hatte er – auch dank seiner umfangreichen Kenntnisse des ungarischen Staatsrechts – eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen, die zum friedlichen Regimewechsel führten. Zunächst orientierte er sich an der neugeborenen Partei seines Vaters, der FKGP, doch schrak er vor den Auffassungen mancher Vertreter dieser Partei zurück und schloss sich dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF), einer christlich-demokratischen, liberalen und nationalen Bewegung, an. Die Partei erhielt bei den ersten freien Wahlen im Jahre 1990 fast 25 Prozent der Stimmen – einige Prozente mehr als der liberale Bund der Freidemokraten (SZDSZ), die Partei der antikommunistischen Dissidenten. Antall bildete eine Koalitionsregierung mit der FKGP und den Christdemokraten.

Das Ende der vierjährigen Legislaturperiode erlebte er allerdings nicht mehr: bereits früh in seiner Amtszeit erkrankt, kämpfte er mutig gegen den Krebs (wobei er auch in Deutschland behandelt wurde) und führte die Amtsgeschäfte fast bis zu seinem Tode.

Antall setzte sich von Anfang an energisch – und letztendlich auch erfolgreich – für die Auflösung des Warschauer Pakts und den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn ein. Auch die "Visegráder" Initiative, die Zusammenarbeit der Mitteleuropäer, der Ungarn, Tschechen, Polen und Slowaken, ist eng mit seinem Namen verbunden. Innenpolitisch war er dagegen weniger erfolgreich. Die Regierung seiner verschiedene Richtungen repräsentierenden Partei konnte (auch nach Jahrzehnten der Diktatur) nur wenige wirklich kompetente Persönlichkeiten aufweisen und auch Innenkämpfe trugen zu einer Lähmung derselben bei. Die mit der Wende eintretende tiefe Wirtschaftskrise und die dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen machte die Rolle der ersten Regierung – wie es selbst Antall nur zu gut wusste – zu einem Himmelfahrtskommando: die Wahlen 1994 brachten die Rückkehr der Sozialisten.

Nichtsdestotrotz erinnern ihn auch seine Gegner als einen herausragenden Staatsmann. Wohl vor allem aufgrund seiner Intelligenz, in stürmischen Zeiten das Überschäumen der Emotionen verhindert zu haben. Er trat – als weitsichtiger Politiker, aber auch als praktizierender Christ – für einen Ausgleich mit der Vergangenheit ein, wobei die Sünden nicht vergessen, aber die Verantwortlichen und Mitläufer nicht geahndet werden sollten. Sprichwörtlich wurde die Antwort an seine Kritiker, die von ihm ein radikaleres Auftreten forderten: "Meine Herren – hätten Sie doch gefälligst eine Revolution gemacht..."

Mit oder ohne Revolution: Antall führte das Land letztlich sicher, friedvoll und selbstlos durch historische, stürmische Zeiten. Manche Schwächen, eben die mal fehlende Härte oder das späte Erkennen der rechtsradikalen Gefahr, wurden ihm vorgeworfen. Auch, dass der "Herr Professor" mit seinem vielseitigen Wissen zum langen Dozieren statt zu energischem Handeln neigte. Wie auch immer: seine menschliche und politische Ehrlichkeit konnte niemand in Zweifel ziehen. Und er zahlte für diese selbstlos übernommene, nur schwer zu bewältigende Aufgabe im wahrsten Sinne des Wortes mit Geist und Leben. (fp)