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Vorfahrt für Blaulichter

Stephan Hille6. September 2005

Der Moskauer Sommer ist vorbei: Es wird merklich kühler, die Tage empfindlich kürzer, es gibt Regen statt Sonne ... und ein weiteres, untrügliches Indiz: Die Staus nehmen die Stadt wieder in ihren Würgegriff.

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Stephan Hille

Seit dem 1. September, dem Ende der Sommerferien, sind auch die Sommerfrischler wieder zurück in der Hauptstadt – und stehen im Stau. Pünktlich zum Beginn der Stausaison wird in den Medien die katastrophale Situation auf Moskaus Straßen wieder zum Thema.

Es sind zuviele

Das Problem mit den viel zu vielen Autos, den schlecht (bzw. gar nicht!) koordinierten Ampeln, den schmalen Straßen und den fehlenden Parkplätzen ist nicht neu, aber es spitzt sich wegen des Wirtschaftsbooms und steigenden Autozahlen immer mehr zu. Es mangelt in Moskau allerdings auch nicht an Ideen, wie die Situation zu verbessern sei. Der Gartenring, der das Zentrum auf acht Spuren umrundet, soll nur noch in eine Richtung befahrbar sein, lautet eine. Ein anderer Vorschlag sieht vor, dass nur noch Autos mit Spezialgenehmigung ins Zentrum fahren dürfen. Dagegen regt sich allerdings entschiedener Widerstand von Seiten der Autofahrer, die sich gegen noch mehr Bewilligungen und noch mehr Bürokratie wehren.

Keinen interessiert's

Die Diskussionen flachen jedoch nach ein paar Tagen jedoch wieder ab, wenn jede Zeitung Umfragen publiziert hat, die den Missmut der Bevölkerung zeigen und eine Reihe von Artikeln zum Thema publiziert wurden, ohne dass etwas passiert wäre. "Wer kümmert sich um die Anliegen der Autofahrer?", war deshalb kürzlich ein Thema in einer Radiosendung zum Thema Mobilität. "Niemand!", war die einhellige Antwort der versammelten Experten. "Solange die Entscheidungsträger nicht im Stau stehen, wird nichts passieren", waren sich die Teilnehmer an der Diskussionsrunde einig.

Wege der Privilegierten

Es ist nämlich schlicht nicht so, dass Politiker und hohe Regierungsbeamte in den Moskauer Stau geraten. Hochrangige Persönlichkeiten – sie sind ja wichtig und haben wenig Zeit – fahren mit Blaulicht auf ihren Autodächern herum und sind mit lauten, unangenehmen Huptönen ausgerüstet. Sie halten sich nicht an die Verkehrsregeln, fahren bei Rot über die Kreuzung, umfahren Staus auf der Gegenfahrbahn, biegen ab, wo es verboten ist und kommen so viel schneller, wenn auch gefährlicher für andere, voran.

Blaue Sirenen

Gegen diese Sonderregeln für eilige Chef-Bürokraten regt sich schon länger Widerstand. "Eine Schande, dass sie ohne schlechtes Gewissen in sündhaft teuren Autos herumrasen und, ohne sich dafür zu schämen, am hellichten Tag Regeln verletzten und mein Leben gefährden", schrieb eine erboste Leserin der Zeitung "Argumenti i Fakti". Die Zeitung hat daraufhin eine Rubrik mit dem Namen "gefährliche Sirenen" eröffnet. Leserinnen und Leser können sich melden, wenn sie wegen eines rücksichtslosen Regierungsfahrzeugs in gefährliche Situationen geraten sind. Es reicht, den Ort, die Zeit und die Autonummer anzugeben. Die Redaktion verspricht, den Fahrer ausfindig zu machen und ihn darüber Rechenschaft ablegen zu lassen, wohin es der Beamte denn so schrecklich eilig hatte.

Doch alle Anläufe die Sonderbehandlung für Regierungsbeamte abzuschaffen, sind bislang im Sande verlaufen . "Am besten, liebe Zuhörer, sie gehen ab sofort einfach zu Fuß", riet ein Verkehrsexperte den Radiohörern. "Aber passen Sie auf, wenn Sie die Straße überqueren, es gibt da welche, die ganz schnell mit blauen Sirenen herumfahren ..."