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Smartphones für Blinde

Maximilian Grosser5. März 2013

Lange konnten Blinde mit Smartphones und ihren Touchscreens nicht viel anfangen. Doch mit kluger Software und mit speziellen Chips in Infotafeln und Wegweisern können die Telefone helfen, sich besser zurechtzufinden.

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Der Mindtags-Erfinder Erich Thurner lässt sich von seinem Mobiltelefon eine Information vorlesen, die das Telefon von einem Near Field Communication (NFC) Transponder-Chip erhält (Foto: Maximilian Grosser)
Bild: DW/M. Grosser

Sie sind digitale Notizbücher, Kalender und Postfächer in einem und bieten noch allerhand weitere technische Spielerein: Smartphones. Längst sind sie für viele Menschen aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Aber eine Nutzergruppe blieb bislang außen vor: Die Blinden. Weil Smartphones keine Tastatur haben, konnten sie sich bisher schlecht darauf zurechtfinden. Aber nun könnte sich das ändern: Smartphones könnten für Blinde sogar unverzichtbar werden. Denn seit die meisten Mobiltelefone Software für Sprachein- und –ausgabe als Standard besitzen, entwickeln verschiedene Erfinder Anwendungen, die speziell auf die Bedürfnisse von Blinden und Sehbehinderten zugeschnitten sind.

Digitale Haushaltsouffleuse

Eine davon ist die Anwendung "Mindtags." Das Programm funktioniert wie eine kleine Souffleuse. Sie verleiht Elektronikchips, die auf Gegenstände, Infotafeln, Wegweiser oder Verpackungen aufgeklebt sind, eine Stimme. Erich Thurner entwickelt "Mind-Tags" gemeinsam mit Kollegen. Der Jurist ist selbst blind. Nur noch ein Prozent seiner Sehfähigkeit ist ihm geblieben.

Jeden Morgen hilft Thurner seine Smart-Phone Software, die passende Kleidung zu finden. Dazu bewegt er sein Smartphone über die Wäscheetiketten seiner T-Shirts und Pullover. Auf einem kleinen eingenähten Knopf ist die passende Information gespeichert. Aus dem Telefon tönt dann eine weibliche Computerstimme etwas trocken: "T-Shirt, gelb, halbarm." Oder: "Jeans, blau, ausgewaschen." Die elektronischen Knöpfe machen zusammen mit Thurners Handy aus stummen Hosen und Hemden sprechende Kleider.

Verschiedene Near Field Communication (NFC) Transponder-Chips, die in einem Armband, einem Schlüsselanhänger, einem Knopf und Aufklebern versteckt sind. Daneben ein Mobiltelefon, das mit der Software "Mindtags" ausgestattet ist (Foto: Maximilian Grosser)
NFC - Chips lassen sich in vielen verschiedenen Formen verpacken.Bild: DW/M. Grosser

Die Technik dahinter ist denkbar einfach und heißt Near Field Communication (NFC). Eigentlich soll die Technik dem bargeldlosen Bezahlen mit Handys dienen. "Dazu brauche ich das Telefon mit seinem NFC-Sensor nur über einen Transponder-Chip zu halten und es wird dann beispielsweise ein Euro für eine Cola abgebucht", sagt Erich Thurner. Doch die Technik ist nicht aufs Bezahlen beschränkt und zudem noch für Programmierer frei verfügbar. Wenn das Mobiltelefon einen Transponder-Chip erkennt, sendet es ein Signal an den Chip, und der Chip schickt gespeicherte Informationen zurück zum Mobiltelefon. Wenn das Telefon dann auch noch mit dem Internet verbunden ist, können zusätzliche Informationen abgerufen werden, die irgendwo auf einem Server liegen.

Funkender Barcode

Ein NFC-Tag funktioniert also ähnlich wie ein Barcode auf einer Nudelpackung. Aber anders als die Scannerkasse kann das Smartphone nicht nur einen Preis anzeigen. Dank der "Mindtags" spukt es auch Text oder Audio-Informationen aus. Und noch einen Vorteil haben die NFC-Chips für Blinde: Als Aufkleber, Knöpfe oder Chipkarten sind sie gut fühlbar. Sie können auf CDs, Büchern oder Medikamentenpackungen angebracht werden. "Im Arzneischrank ist das ungemein hilfreich, weil auf den Packungen nur der Name in Braille-Schrift angebracht ist, aber weder die Produktbeschreibung noch das Ablaufdatum oder die Dosierung", sagt Thurner.

"Mindtags" ist also viel mehr als nur eine Haushaltsouffleuse. Das beweist auch ein Projekt namens "Quia Testis – 2000 Meter Deutsche Geschichte". Dahinter verbirgt sich ein historisch-akustischer Rundgang über den ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof. Ab dem Frühjahr 2013 sollen dort zahlreiche Infotafeln, sogenannte Textstelen, Besucher über die Geschichte informieren. Ein kleiner Funkchip auf der Infotafel macht darüber hinaus Smartphones zu Geschichtenerzählern über die Berliner Teilung. Dann tönen Aufnahmen von Rosinenbombern, also den Flugzeugen, die während der Berlin-Blockade Lebensmittel und Kohle in die Stadt brachten, aus den Mobiltelefonen. Oder der ehemalige Berliner Bürgermeister und spätere Bundeskanzler Willy Brandt spricht zu den Besuchern.

Ein Mobiltelefon mit der Mindtags-Software wird vor eine Ausstellungs-Infotafel gehalten. Darin versteckt ist ein Near Field Communication (NFC) Transponder-Chip, der Audio und Text Informationen enthält und über das Mobiltelefon ausspielt bzw. vorliest (Foto: Maximilian Grosser) Februar 2013, Berlin
Mindtags Smartphones können in Museen oder vor Sehenswürdigkeiten zusätzliche Informationen, Audios und Videos bereitstellenBild: DW/M. Grosser

Für Museen attraktiv: NFC-Tags gibt es schon für einen Euro das Stück. Es ist also eine kostengüstige Möglichkeit den Museumsbesuch zu bereichern. Deshalb forscht die Berliner Sozialwissenschaftlerin Regina Franken-Wendelsdorf gerade in einem Projekt für das Berliner Pergamonmuseum. Mit der simplen Funktechnik möchte sie Filme, Interviews und spezielle Angebote für Blinde über Smartphones oder Tablet-PCs zur Verfügung stellen – direkt vor dem Ausstellungsobjekt.

"Der Besucher könnte sich beispielsweise vor dem Ischtartor (einem Stadttor des antiken Babylon, dass heute im Pergamonmuseum steht) über dessen Grabungsgeschichte informieren. Er könnte sich auch eine Animation anschauen, wie das Tor an seinem ursprünglichem Standort gewirkt hat", schwärmt Regina Franken-Wendelsdorf. Die Technik bietet also Möglichkeiten, die über die Grenzen von herkömmlichen Texttafeln und Audioguides weit hinausreichen. Zum Beispiel können Museumsbesucher die auf das Handy heruntergeladenen Daten später auch nochmal bequem zu Hause anschauen.

Wegweiser im Großstadtdschungel

Thorsten Bräuer vom Verein Blindenfreunde sähe die kleinen Chips gern an jedem Ampelmast. Dort könnten sie die Strassennamen bereithalten, oder Informationen über nahe gelegene Institutionen oder auch den kürzesten Weg zu Bahn- und Bushaltestellen. "Das würde die Orientierung für Blinde sehr verbessern, sie könnten ihre Umwelt selbstständiger erkunden". Auch im Supermarkt kann er sich den Einsatz der Chips für Blinde vorstellen. "Der könnte schon draußen über Sonderangebote informieren oder auch im Geschäft am Regal."

Doch bevor es so weit ist muss "Mindtags" noch einige Hürden meistern. Denn die NFC-Chips machen sich noch nicht von selbst bemerkbar. Nur aus einer Entfernung von vier Zentimetern verrichten sie verlässlich ihren Dienst. Und die aufwendigeren Daten kommen meist per Internet auf das Smartphone – günstige Internet-Verbindungen sind nicht überall vorhanden. Der Erfinder Thurner ist trotzdem zuversichtlich: Diese Probleme seien einfacher zu lösen als jene, mit denen die Blinden ohnehin tagtäglich zu kämpfen haben.